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KAPITEL I: DIE WIRKUNGSWEISE VON BENZODIAZEPINEN

BENZODIAZEPINE: WIRKUNGSWEISE UND
THERAPEUTISCHER ENTZUG

(Das Ashton Handbuch)

• PROTOKOLL FÜR DIE DURCHFÜHRUNG DER ENTWÖHNUNG VON BENZODIAZEPIN-ABHÄNGIGKEIT
• Medizinisch-wissenschaftliche Information aus einer Benzodiazepin-Entzugs-Klinik

Professor C Heather Ashton DM, FRCP
Überarbeitete Fassung August 2002


Ashton Handbuch Index-Seite
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
• Kapitel I: Die Wirkungsweise von Benzodiazepinen
Kapitel II: Durchführung der Entwöhnungsstherapie von Benzodiazepinen nach lang dauerndem Gebrauch
Kapitel II: Langsame Entwöhnungsschemata
Kapitel III: Benzodiazepin-Entzugssymptome, akute & protrahierte

KAPITEL I

DIE WIRKUNGSWEISE VON BENZODIAZEPINEN

Hintergrund

Über dieses Kapitel

Die Benzodiazepine
Potenz
Eliminationsrate
Wirkungsdauer
Therapeutische Wirkungen von Benzodiazepinen
Wirkungsmechanismen

Nebenwirkungen von Benzodiazepinen
Übermäßige Sedierung
Wechselwirkung mit anderen Medikamenten
Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens
Paradoxe stimulierende Wirkungen
Depression, emotionale Abstumpfung
Nebenwirkungen bei älteren Menschen
Nebenwirkungen während Schwangerschaft
Toleranzentwicklung
Abhängigkeitsentwicklung
    Abhängigkeit von therapeutischer Dosierung
    Verordnete Hoch-Dosis-Abhängigkeit
    „Recreational“ Benzodiazepin-Missbrauch

Sozioökonomische Kosten langdauernder Benzodiazepin-Anwendung

Weiterführende Literatur

Tabelle 1. Benzodiazepine und ähnliche Substanzen
Tabelle 2. Therapeutische Wirkungen der Benzodiazepine
Tabelle 3. Sozioökonomische Kosten langdauernder Benzodiazepin-Anwendung
Abb. 1. Darstellung der Wirkmechanismen des natürlichen Neurotransmitters GABA (Gamma Aminobutyr - Säure) und der Benzodiazepine an den Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn

HINTERGRUND

Für die Dauer von zwölf Jahren (1982-1994) habe ich eine Benzodiazepin-Entwöhnungs-/Entzugs-Klinik für Patienten geleitet, die den Wunsch hatten, die Einnahme von Tranquillisern und Schlaftabletten zu beenden. Ein großer Teil dessen, was ich heute über dieses Thema weiß, wurde mir von den Frauen und Männern gelehrt, die sich einer Entzugsbehandlung unterworfen haben. Mit der sorgfältigen Anhörung der Krankengeschichten von mehr als 300 „Patienten“ und Beobachtung ihrer Fortschritte (Woche um Woche, manchmal von Tag zu Tag) habe ich allmählich erfahren, was langdauernder Benzodiazepin-Abusus und die darauf folgende Entwöhnung/der Entzug bedeuten.

Die Mehrzahl der Patienten, die in meiner Klinik behandelt wurden, hatten Benzodiazepine, in der Regel verordnet durch ihre Ärzte, jahrelang, manchmal mehr als 20 Jahre, eingenommen. Es war ihr Wunsch, dies zu beenden, weil es ihnen damit nicht gut ging. Sie hatten festgestellt, dass diese Medikamente, obwohl sie zunächst hilfreich waren, als sie zuerst verordnet worden waren, die Ursache dafür sein könnten, dass sie sich krank fühlten. Sie klagten über eine Vielzahl von Symptomen sowohl physischer als auch mentaler Art. Viele litten unter Depressionen und/oder Angstzuständen; einige unter „irritablem Darmsyndrom“, Herz- und neurologischen Beschwerden. Viele hatten bereits intensive diagnostische Prozeduren über sich ergehen lassen, wie z.B. Gastroskopien sowie kardiologische und neurologische zum Teil invasive Untersuchungen, die jedoch in den meisten Fällen nur negative Ergebnisse erbracht hatten. Dies ging so weit, dass einigen fälschlicherweise gesagt worden war, sie hätten multiple Sclerose. Verschiedene verloren ihre berufliche Stellung in Folge sich wiederholender Krankheitsphasen.

Die Erfahrungen dieser Patienten wurden seitdem in zahlreichen Studien bestätigt, bei Tausenden von Patienten, die an sog. „Tranquilliser Support Groups“ in Großbritannien und anderen Teilen von Europa sowie in den USA teilgenommen hatten. Bemerkenswert ist, dass es die Patienten selbst und nicht die Vertreter der medizinischen Profession waren, die erkannten, dass die Langzeit-Einnahme von Benzodiazepinen die Ursache ihrer Probleme war.

ÜBER DIESES KAPITEL

Einige Leser möchten vielleicht direkt zu den Kapiteln über Benzodiazepin-Entwöhnung/Entzug (Kapitel II) gehen. Diejenigen aber, die den Wunsch haben, das Wesen der Entzugssymptomatik und der Techniken, damit umzugehen (und demzufolge besser in der Lage sein werden, den Entwöhnungs-/Entzugs-Prozess zu verstehen), sollten sich zuerst mit den Grundlagen der Benzodiazepin-Wirkungen und mit den Fragen, wie sich der Körper bei langdauernder Einnahme darauf einstellt, vertraut machen. Dies ist Gegenstand dieses Kapitels.

DIE BENZODIAZEPINE

Potenz. Es gibt eine Vielzahl von Benzodiazepinen (Tabelle 1). Sie sind charakterisiert durch große Unterschiede in ihrer Potenz, so dass wirkungsäquivalente Dosen bis zu einem Faktor von 20 variieren. So sind z.B. 0,5 Milligramm (mg) von Alprazolam (Tafil) in etwa äquivalent zu 10 mg Diazepam (Valium, Faustan). Das heißt, eine Person, die 6 mg Alprazolam pro Tag einnimmt, eine Dosis, die nicht selten in den USA verordnet wird, müsste das Äquivalent von 120 mg Diazepam pro Tag einnehmen, um die gleiche Wirkung zu erzielen, also eine extrem hohe Dosis. Diese Unterschiede in Potenz werden nicht immer ausreichend von Ärzten bedacht und zahlreiche Kollegen würden diese Angabe von Äquivalenz-Dosen nicht akzeptieren wollen. Wie dem auch sei, Menschen, die hochpotente Benzodiazepine wie Alprazolam, Lorazepam (Ativan, Tavor) oder Clonazepam (Rivotril) einnehmen, neigen dazu, relativ hohe Dosen zu verwenden. Die Unterschiede in Potenz/Stärke ist von größter Bedeutung, wenn es darum geht, während einer Entwöhnungsprozedur eine Umstellung auf ein anderes Benzodiazepin in der Regel auf Diazepam zu vollziehen, so wie das im folgenden Kapitel beschrieben wird.

Eliminationsrate. Benzodiazepine unterscheiden sich auch sehr stark im Hinblick auf ihre Metabolisierungsrate (in der Leber) und der Elimination aus dem Körper (über den Urin) (Tabelle 1). So beträgt z.B. die Halbwertszeit (Zeitspanne innerhalb der die Blutkonzentration um die Hälfte fällt) für Triazolam (Halcion) nur 2-5 Stunden, während hingegen die Halbwertszeit für Diazepam 20-100 Stunden beträgt und die seiner Abbauprodukte (Metaboliten) (z.B. Desmethyldiazepam) 36-200 Stunden dauern kann. Das bedeutet, dass nach Einnahme einer Einzeldosis die Hälfte von wirksamem Diazepam und seiner Metaboliten noch 8 Tage später im Blut nachweisbar sind. Dies hat zur Folge, dass es bei täglicher Einnahme derartig langwirksamer Medikamente zu einer Akkumulation der Substanz im Körper kommt, und dass sich insbesondere bei höheren Dosierungen große Mengen der Substanz im Körper ansammeln können, im Falle der Benzodiazepine insbesondere im Fettgewebe und anderen sog. lipophilen Geweben wie z.B. das Gehirn. Darüber hinaus kommt es zu großen interindividuellen Variationen im Hinblick auf die Metabolisations- und Eliminationsraten von Benzodiazepinen (Tabelle 1).

Tabelle 1. BENZODIAZEPINE UND ÄHNLICHE SUBSTANZEN5
Siehe Handelsnamen in deutschsprachigen Ländern

Benzodiazepine5
Halbwertszeit (hrs)1
[aktive Metaboliten]
Indikationen2
Approximative orale
Equivalenz-
Dosierung (mg)3
Alprazolam (Xanax, Tafil)
6-12
a
0.5
Bromazepam (Lexotan, Lexomil, Lexotanil)
10-20
a
5-6
Chlordiazepoxid (Librium)
5-30 [36-200]
a
25
Clobazam (Frisium)
12-60
a,e
20
Clonazepam (Klonopin, Rivotril)
18-50
a,e
0.5
Clorazepate (Tranxene)
[36-200]
a
15
Diazepam (Valium, Faustan)
20-100 [36-200]
a
10
Estazolam (ProSom)
10-24
h
1-2
Flunitrazepam (Rohypnol)
18-26 [36-200]
h
1
Flurazepam (Dalmane)
[40-250]
h
15-30
Halazepam (Paxipam)
[30-100]
a
20
Ketazolam (Anxon)
30-100 [36-200]
a
15-30
Loprazolam (Dormonoct)
6-12
h
1-2
Lorazepam (Ativan,Tavor)
10-20
a
1
Lormetazepam (Noctamid)
10-12
h
1-2
Medazepam (Nobrium)
36-200
a
10
Nitrazepam (Mogadon, Mogadan)
15-38
h
10
Nordazepam (Nordaz, Calmday)
36-200
a
10
Oxazepam (Serax, Serenid, Serepax)
4-15
a
20
Prazepam (Centrax)
[36-200]
a
10-20
Quazepam (Doral)
25-100
h
20
Temazepam (Restoril, Normison, Euhypnos)
8-22
h
20
Triazolam (Halcion)
2
h
0.5
Nicht-Benzodiazepine mit ähnlicher Wirkung4,5
 
 
 
Zaleplon (Sonata)
2
h
20
Zolpidem (Ambien, Stilnoct)
2
h
20
Zopiclon (Zimovane, Imovane, Ximovan)
5-6
h
15
Eszopiclone (Lunesta)
6(9 bei älteren Menschen)
h
3
  1. Halbwertszeit: Zeitspanne, innerhalb der die Blutkonzentration auf die Hälfte des Maximalwertes nach Einnahme einer Einzeldosis fällt. Die Halbwertszeiten aktiver Metaboliten sind in Klammern gezeigt. Die Halbwertszeiten können interindividuell sehr stark schwanken.

  2. Indikationen: obwohl alle Benzodiazepine ähnlich wirken, werden sie üblicherweise vermarktet als anxiolytisch (a), als hypnotisch (schlaffördernd) wirkende Medikamente (h) oder als sog. Antikonvulsiva (Krampfprophylaxe und Behandlung) (e).

  3. Die Äquivalente stehen nicht alle in Übereinstimmung mit entsprechenden Angaben anderer Autoren. Die hier genannten Äquivalente basieren im Wesentlichen auf klinischer Erfahrung und sie können interindividuell variieren.

  4. Diese Substanzen unterscheiden sich in ihrer chemischen Struktur von Benzodiazepinen, haben aber die gleichen Wirkmechanismen und Effekte.

  5. Alle diese Substanzen werden lediglich für Kurzzeitanwendungen empfohlen (2-4 Wochen maximum).

Wirkungsdauer. Die Metabolisierungs- und Eliminationsgeschwindigkeit der Benzodiazepine ist offensichtlich von Bedeutung für ihre Wirkungsdauer. Die gewünschte Hauptwirkung ist jedoch in der Regel wesentlich kürzer als die beschriebene Halbwertszeit. Die Wirkungen der meisten Benzodiazepine, soweit es sich um die vom Patienten wahrgenommenen Effekte handelt, lässt nach wenigen Stunden nach. Wie dem auch sei, diese Substanzen haben weiterhin subtile Wirkungen auf den Körper, so lange sie sich im Blut und in den Geweben befinden. Diese Wirkungen werden (unter Umständen) deutlich durch den anhaltenden Gebrauch der Medikation und können sich als Entwöhnungs-/Entzugssymptome zum Teil unangenehmster Art manifestieren, wenn die Benzodiazepin-Einnahme reduziert oder ganz beendet wird.

Therapeutische Wirkungen von Benzodiazepinen. Unabhängig von ihrer Potenz der Eliminierungsrate und der Dauer der Wirkung haben die Benzodiazepine alle eine sehr ähnliche Wirkung. Dies ist zutreffend sowohl wenn sie als anxiolytisch als auch hypnotisch oder antikonvulsive Medikamente vermarktet werden (Tabelle 1). Alle Benzodiazepine entwickeln fünf wesentliche Wirkungen, die therapeutisch genutzt werden: anxiolytisch (angstlösend), hypnotisch (schlaffördernd) oder induzierend, muskelentspannend, krampflösend und amnestisch (Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens) (Table 2).

Tabelle 2. THERAPEUTISCHE WIRKUNGEN VON BENZODIAZEPINEN (BEI KURZZEIT-EINNAHME)

Wirkung
Klinische Anwendung
Anxiolytisch - angstlösend - Angstzustände, Panikanfälle, Phobien
Hypnotisch - Schlaf induzierend - Schlafstörungen
Myorelaxierend - muscle relaxation - Muskelverspannungen,
spastische Erkrankungen
Antikonvulsiv - unterbricht Anfälle
und verhütet Krämpfe
- Krämpfe infolge Vergiftung, Epilepsie
Amnesia – Beeinträchtigung des
Kurzzeitgedächtnisses
- Prämedikation vor chirurgischen Operationen,
Sedierung für kleine Operationen

Andere klinische Verwendungen, Nutzen kombinierte Effekte:

  • Alkohol-Entgiftung

  • Akute Psychose mit Übererregbarkeit und aggressiver Symptomatik
  • Diese Wirkungen der Benzodiazepine sind die Ursache für verschiedene nützliche medizinische Eigenschaften dieser Substanzen. Nur wenige Medikamente sind vergleichbar im Hinblick auf ihre Effizienz, ihren raschen Eintritt der Wirkung und die niedrige akute Toxizität. Benzodiazepine, für kurze Zeit angewandt, können äußerst wertvolle, gelegentlich sogar lebensrettende Wirkungen über einen weiten Bereich klinischer Bedingungen entfalten (siehe Tabelle 2). Fast alle Nachteile von Benzodiazepinen sind das Ergebnis langdauernder Anwendung (in der Regel für mehr als einige Wochen). Deshalb empfahl das „Committee on Safety of Medicines“ in Großbritannien im Jahr 1988, dass Benzodiazepine in üblicher Dosierung für Kurzzeitanwendungen reserviert sein sollten (2-4 Wochen).

    Wirkungsmechanismen. Für jeden, der darum kämpft, sich von langdauerndem Benzodiazepin-Abusus zu befreien, weiß, dass diese Substanzen neben der eigentlichen therapeutisch gewünschten Wirkung schwerwiegende Auswirkungen auf die Befindlichkeit und auf zahlreiche Körperfunktionen haben. Direkt oder indirekt beeinflussen Benzodiazepine praktisch alle Aspekte der Gehirnfunktion. Für diejenigen, die daran interessiert sind zu erfahren, wie und warum, werden im Folgenden die pharmakologischen Wirkungsmechanismen kurz beschrieben, durch die Benzodiazepine in der Lage sind, so weitreichende Wirkungen zu entfalten.

    Alle Benzodiazepine wirken durch Verstärkung der Wirkung des natürlichen Neurotransmitters GABA (Gamma Aminobutyr-Säure). GABA ist ein Neurotransmitter, eine Substanz, die Signale von einer Gehirnzelle (Neuron) zu einer anderen überträgt. Die durch GABA transmittierten Signale sind hemmender Natur: Sie übermitteln den Neuronen, dass sie ihre Aktivität verringern oder komplett unterbrechen. Da etwa 40 % der Millionen von Neuronen im ganzen Gehirn auf GABA reagieren, bedeutet das, dass dieser Transmitter eine generell beruhigende Wirkung auf das Gehirn hat. Es ist, wenn man so will, ein natürliches körpereigenes Hypnotikum und ein Tranquilliser. Diese natürliche Wirkung von GABA wird verstärkt durch Benzodiazepine, die somit eine zusätzliche (häufig exzessive!) hemmende Funktion auf die Neuronen ausüben (Abb. 1).

    Abb. 1. Diagramm des Wirkungsmechanismus des natürlichen Neurotransmitters GABA (Gamma Aminobutyron-Säure) und der Benzodiazepine auf Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn

    (1,2) Nervenimpulse verursachen die Freisetzung von GABA aus Speicherarealen des Neuron 1
    (3) GABA wird freigesetzt in den Spalt zwischen den Neuronen
    (4) GABA reagiert mit den Rezeptoren am Neuron 2; die Reaktion erlaubt Chlorid-Ionen (Cl-) in das Neuron einzudringen
    (5) Diese Wirkung hemmt die Weiterleitung der Nervenimpulse
    (6,7) Benzodiazepine reagieren mit der „booster site“ der GABA-Rezeptoren
    (8) Diese Aktion verstärkt die hemmende Wirkung von GABA; die laufenden Nervenimpulse können völlig blockiert werden.

    Die Art und Weise, mit der GABA hemmende Impulse im Gehirn aussendet, ähnelt einem intelligenten elektronischen Gerät. Die GABA-Reaktion öffnet an den die Impulse empfangenden Neuronen Kanäle, die es erlauben, dass negativ geladene Partikel (Chlorid-Ionen) in das Innere des Neurons gelangen. Die negativen Ionen „supercharge“ (überladen) das Neuron mit dem Resultat, dass es weniger empfindlich auf andere Neurotransmitter reagiert, die es normalerweise stimulieren würden. Benzodiazepine reagieren auch an ihren speziellen Stellen (den Benzodiazepin-Rezeptoren), die sich direkt am GABA-Rezeptor befinden. Die Kombination eines Benzodiazepins an dieser Stelle wirkt wie ein „booster“ (Verstärker) auf die GABA-Aktivität mit einer Vermehrung des Einstroms von Chlorid-Ionen in das Neuron. Ein Vorgang, der es gegen Erregung (Exzitation) widerstandsfähiger macht. Verschiedene Untergruppen von Benzodiazepin-Rezeptoren haben unterschiedliche Aktivitäten. Einer der Subtypen (alpha 1) ist verantwortlich für die sedativen (beruhigenden) Effekte, ein anderer (alpha 2) für anxiolytische (angstlösende) Effekte und beide alpha 1 und alpha 2 sowie alpha 5 für einen krampfhemmenden Effekt. Diese Effekte sind allen Benzodiazepinen eigen, jedoch in stärkerem oder schwächerem Ausmaß innerhalb all diesen Subtypen, und sie verstärken die generelle GABA-Aktivität im Gehirn.

    Als Folge der generellen Stimulierung der GABA-hemmenden Aktivität verursacht durch Benzodiazepine, ist die Freisetzung von exzitatorischen Neurotransmittern wie Noradrenalin, Serotonin, Acetylcholin und Dopamin vermindert. Diese exzitatorischen Neurotransmitter sind erforderlich für normale Aufmerksamkeit, für die Gedächtnisleistung, den Muskeltonus und die Koordination, für emotionale Reaktionen, für die Freisetzung von Hormonen aus endokrinen Drüsen, für die Herzfrequenz und den Blutdruck und eine Vielfalt anderer Funktionen, die alle durch Benzodiazepine beeinträchtigt werden können. Direkte und indirekte Wirkungen der Benzodiazepine sind verantwortlich für ihre bekannten Nebenwirkungen.

    NEBENWIRKUNGEN VON BENZODIAZEPINEN

    Übermäßige Sedierung. Übermäßige Sedierung ist ein dosisabhängiges Phänomen der Benzodiazepine. Die Symptome umfassen Benommenheit, Konzentrationsstörungen, mangelnde Koordination, Muskelschwäche, Vertigo (Schwindel) sowie Verwirrtheitszustände. Wenn ein Benzodiazepin am Abend als Schlaftablette genommen wird, so kann die Sedierung bis in den nächsten Tag als eine Art "hangover"-Effekt anhalten, insbesondere mit Substanzen, die nur langsam eliminiert werden (Tabelle 1). Üblicherweise kommt es jedoch im Laufe von 1-2 Wochen zu einer Toleranz gegenüber diesem sedativen Effekt, so dass unter Angststörungen leidende Patienten, die Benzodiazepine während des Tages einnehmen, in der Regel nicht mehr über Schläfrigkeit/Sedierung klagen, allerdings bleiben differenzierte Urteilsfähigkeit und einige Gedächtnisfunktionen beeinträchtigt.

    Eine übermäßige Sedierung ist vor allem bei älteren Patienten länger und stärker ausgeprägt und im ungünstigsten Falle können akute Verwirrtheitszustände bereits mit relativ niedrigen Benzodiazepin-Dosen auftreten. Eine übermäßige Sedierung trägt zu häuslichen und zu Unfällen am Arbeitsplatz bei. Zahlreiche Studien konnten einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Einnahme von Benzodiazepinen und schweren Verkehrsunfällen zeigen. Menschen, die Benzodiazepine einnehmen, sollten vor den Risiken im Verkehr und bei der Bedienung von Maschinen gewarnt werden.

    Medikamentöse Wechselwirkungen. Benzodiazepine haben additive Wirkungen in Verbindung mit zahlreichen anderen Substanzen, die ebenfalls sedierend oder hypnotisch wirken, mit einigen Antidepressiva (wie z.B. Amitriptylin, Doxepin), mit starken Tranquillisern oder Neuroleptika, mit Antikonvulsiva (wie z.B. Phenobarbital, Phenytoin, Carbamazepin), mit sedativ wirkenden Antihistaminika (wie z.B. Promethazin und Diphehydramin), mit Opiaten (wie z.B. Heroin, Morphin und Methadon) und vor allem mit Alkohol. Patienten, die Benzodiazepine einnehmen, sollten vor diesen Wechselwirkungen gewarnt werden. Werden sedierende Medikamente in Überdosis genommen, so besteht die Gefahr, dass Benzodiazepine deren Risiken in fataler Weise erhöhen.

    Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens. Benzodiazepine sind dafür bekannt, dass sie Amnesie (Gedächtnislücken) verursachen, eine Wirkung, die genutzt wird, wenn diese Medikamente als Prämedikation vor chirurgischen Operationen von Seiten der Anästhesie eingesetzt werden. Der Verlust der Erinnerung an unangenehme Ereignisse ist in diesen Fällen eine willkommene Nebenwirkung. Für diesen Zweck können relativ hohe Einzeldosen von kurzwirksamen Benzodiazepinen, allen voran Midazolam (Dormicum), intravenös verabreicht werden.

    Oral verabreichte Benzodiazepine in einer Dosierung, die für Schlafstörungen oder Angstzustände verwendet werden, können ebenfalls Gedächtnisstörungen verursachen. Die Aufnahme neuer Information ist beeinträchtigt, zum Teil infolge von Konzentrations- und Aufmerksamkeitsmangel. Zusätzlich können die Benzodiazepine spezifische Defizite der Erinnerung an einige Zeiträume verursachen, wie z.B die Erinnerung an kürzliche Ereignisse und die näheren Umstände, unter denen diese eintraten sowie ihre zeitliche Abfolge. Im Gegensatz dazu sind andere Gedächtnisfunktionen (wie z.B. die Erinnerung an bestimmte Worte, die Fähigkeit sich Telefonnummern zu merken oder die Erinnerung an lang zurückliegenden Ereignisse) unter Umständen nicht gestört. Die Beeinträchtigung der Erinnerung an bestimmte Episoden kann gelegentlich zu Gedächtnisirrtümern oder "blackouts" führen. Es wird behauptet, dass in einigen Fällen solche Erinnerungslücken zu uncharakteristischem Verhalten, wie z.B. Ladendiebstähle, führen.

    Benzodiazepine werden oft zur Behandlung akuter stressbedingter Reaktionen verordnet. Zunächst mögen sie eine Entlastung vom akuten Stress einer Katastrophe bewirken. Wenn sie jedoch länger als einige Tage genommen werden, so besteht die Gefahr, dass sie die normale psychologische Aufarbeitung eines solchen Traumas verhindern. Im Falle eines schmerzlichen Verlustes können Benzodiazepine den normalen Trauerprozess verhindern, so dass das Problem für Jahre ungelöst bleibt. Bei anderen Angstzuständen einschließlich Panikzuständen und Agoraphobie können Benzodiazepine den gesunden Umgang mit diesen Stresssituationen verhindern, einschließlich kognitiv verhaltensorientierter Therapie.

    Paradoxe stimulierende Effekte. Benzodiazepine verursachen gelegentlich paradoxe Erregungszustände mit erhöhter Angst, Schlaflosigkeit, Alpträumen, Halluzinationen in der Einschlafphase, Irritabilität, hyperaktives oder aggressives Verhalten sowie das vermehrte Auftreten von Anfällen bei Epileptikern. Es wurde über das Auftreten von Wutanfällen mit gefährlichem Verhalten bis hin zu körperlichen Angriffen (und sogar Selbstmordversuchen) berichtet, vor allem nach intravenöser, aber auch nach oraler Verabreichung von Benzodiazipinen. Weniger dramatische Zunahme von Irritabilität und Streitbarkeit sind jedoch viel häufiger und werden nicht selten von Patienten selbst oder ihren Familien festgestellt. Diese Reaktionen ähneln denen, die gelegentlich auch durch Alkoholkonsum auftreten können. Sie sind besonders häufig bei ängstlichen und aggressiven Individuen, bei Kindern und älteren Menschen. Sie sind möglicherweise zu erklären durch einen Verlust der Hemmungen dieses Verhaltens, das normalerweise sozialen Hemmschwellen unterliegt. Fälle von Gewaltanwendung gegenüber Kindern, Ehepartnern und älteren Menschen sind Beispiele für paradoxe stimulierende Wirkungen von Benzodiazepinen.

    Depression, emotionale Abstumpfung. Menschen mit langdauerndem Benzodiazepin-Abusus, ähnlich wie Alkoholiker oder Barbiturat-abhängige Menschen, leider oft unter Depressionen, ein Phänomen, das als erstes während lang anhaltendem Benzodiazepin-Gebrauch auftreten kann. Benzodiazepine können sowohl Depressionen auslösen als auch verschlimmern, wahrscheinlich durch Reduktion der normalen Freisetzungen von Serotonin und Noradrenalin im Gehirn. Angstzustände und Depressionen treten jedoch häufig vergesellschaftet auf und Benzodiazepine werden häufig in diesen Situationen verordnet. In manchen Fällen scheinen ihre Wirkungen auch Selbstmordgedanken auszulösen. Unter den ersten 50 Patienten, die meine Entzugs-Klinik aufsuchten (berichtet im Jahr 1987), mussten zehn wegen Überdosierung in das Krankenhaus aufgenommen werden, während sie unter einer chronischen Benzodiazepin-Medikation standen; nur zwei von ihnen hatten tatsächlich eine Vorgeschichte von Depressionen, bevor ihnen die Benzodiazepine verordnet worden waren. Die Depression verschwand bei diesen Patienten, nachdem sie von Benzodiazepinen entwöhnt worden waren und keiner nahm während der folgenden 10 Monate bis 3 ½ Jahren erneut eine Überdosis ein. Im Jahr 1988 empfahl das „Committee on Safety of Medicines“ in Großbritannien, dass „Benzodiazepine nicht allein verwendet werden sollten, um Depression oder Angstzustände assoziiert mit Depression zu behandeln, da infolge dessen bei diesen Patienten Selbstmordtendenzen gefördert werden können“.

    Eine Betäubung der Gefühle, das heißt, die Unfähigkeit Freude oder Schmerz zu empfinden, ist ein häufiges Phänomen bei Menschen, die unter langdauernder Benzodiazepin-Behandlung stehen. Diese emotionale Abstumpfung ist wahrscheinlich durch den die hemmenden Effekte der Benzodiazepine auf die Aktivität der für Gefühle verantwortlichen Zentren im Gehirn zu erklären. Patienten, die früher unter Langzeit-Benzodiazepin-Einnahme standen, bedauern oft ihre mangelhafte Fähigkeit zu Emotionen gegenüber anderen Familienmitgliedern wie Kindern und Ehepartnern während der Periode, in der sie unter der Wirkung von Benzodiazepin standen. Chronischer Benzodiazepin-Abusus kann zu häuslicher Disharmonie bis hin zur Trennung von Ehepartnern führen.

    Nebenwirkungen bei älteren Menschen. Ältere Menschen reagieren wesentlich sensitiver als jüngere auf die das zentrale Nervensystem dämpfenden Benzodiazepine. So kann es vor allem bei älteren Menschen zu Verwirrung, Schlafwandeln, Amnesie, Ataxie (Gleichgewichtsstörungen), „hang-overs“ und eine Art Pseudo-Demenz (gelegentlich als Alzheimer-Erkrankung missinterpretiert) kommen. Benzodiazepine sollten deshalb bei älteren Menschen, wenn irgend möglich, vermieden werden. Die erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Benzodiazepinen bei älteren Menschen ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Substanzen langsamer und weniger effizient als bei jüngeren Menschen metabolisiert und eliminiert werden, das heißt, die Substanzen wirken länger, und es kommt rascher zur Anreicherung im Körper. Darüber hinaus haben identische Blutkonzentrationen bei älteren Menschen stärkere das Zentral-Nervensystem dämpfende Wirkungen, wahrscheinlich, da diese aufgrund des Alterungsprozesses über weniger Neuronen verfügen und nur über eine geringere Gehirnreserve als jüngere Menschen.

    Aus diesen Gründen wird üblicherweise empfohlen, dass die Dosis von Benzodiazepinen, wenn sie bei älteren Menschen zur Anwendung kommen, nur etwa die Hälfte wie für normale gesunde Erwachsene betragen soll und sie nur für die Dauer von nicht mehr als zwei Wochen eingesetzt werden sollten. Zusätzlich werden Benzodiazepine ohne aktive Metaboliten (wie z.B. Oxazepam) besser toleriert als solche, die sich nur langsam abbauende Metabolite im Körper bilden (wie z.B. Chlordiazepoxid und Nitrazepam). Äquivalente Potenzen der verschiedenen Benzodiazepine sind in etwa die gleichen bei älteren wie bei jüngeren Menschen (Tabelle 1).

    Nebenwirkungen während Schwangerschaft. Benzodiazepine durchdringen die Plazenta-Schranke und können, wenn sie während der Schwangerschaft vor allem in den letzten Monaten genommen werden, selbst in therapeutischen Dosen Komplikationen beim Neugeborenen verursachen. Im Fötus und beim Neugeborenen werden Benzodiazepine sehr langsam metabolisiert und es können nennenswerte Konzentrationen beim Neugeborenen bis zu zwei Wochen nach der Geburt bestehen, die sich in einem sogenannten "floppy infant syndrome" mit schlaffen Muskeln, Übersedierung und einem gestörten Saugreflex zeigen. Entzugssymptome können dann nach etwa zwei Wochen auftreten, gekennzeichnet durch Übererregbarkeit, durch extremes Schreien und durch Schwierigkeiten beim Füttern.

    Benzodiazepine in therapeutischen Dosen sind nur mit einem geringen Risiko von schwereren kongenitalen Missbildungen verbunden. Die chronische Einnahme von Benzodiazepinen bei der Mutter kann jedoch das intrauterine Wachstum und die Entwicklung des Gehirns hemmen. Es bestehen deutliche Bedenken, dass solche Kinder im späteren Leben eher Defizite entwickeln wie eine Aufmerksamkeits-Defizit Störung, Hyperaktivität, Lernprobleme und ein Spektrum von autistischen Verhaltensweisen.

    Toleranzentwicklung. Toleranz (Gewöhnung) auf viele der Wirkungen von Benzodiazepinen entwickelt sich bei regelmäßigem Gebrauch; das heißt, die ursprüngliche Dosis verliert mehr und mehr ihre Wirkung und es ist demzufolge eine höhere Dosis notwendig, um den ursprünglichen Effekt zu erzielen. Dies veranlasst Ärzte nicht selten, die Dosis ihrer Verschreibungen zu erhöhen und/oder andere Benzodiazepine hinzuzufügen, so dass manche Patienten gleichzeitig zwei Benzodiazepine einnehmen.

    Die Toleranz gegenüber verschiedenen Wirkungen der Benzodiazepine entwickelt sich jedoch mit unterschiedlicher Schnelligkeit und in unterschiedlichem Ausmaß. So ist vor allem die Toleranzentwicklung gegenüber dem Schlaf-induzierenden Effekt meist rasch, und es hat sich gezeigt, dass Schlafmuster, wie z.B. Tiefschlaf („irritablem slow wave“ Schlaf) und Träume (die ursprünglich durch das Benzodiazepin unterdrückt wurden) bereits wenige Wochen nach Beginn der Behandlung auf das Niveau vor Beginn der Behandlung zurückkehren. Entsprechend neigen auch diejenigen, die Benzodiazepine tagsüber zur Behandlung von Angstzuständen einnehmen, nicht mehr zu Schläfrigkeit.

    Die Toleranz gegenüber den anxiolytischen Wirkungen entwickelt sich langsamer. Es besteht jedoch wenig Evidenz, dass Benzodiazepine ihre Wirksamkeit nach einigen Monaten beibehalten. Tatsächlich besteht das Risiko, dass bei langdauernder Benzodiazepin-Einnahme die Angstzustände verstärkt werden können. Viele Patienten finden, dass Angstsymptome über die Jahre der Einnahme von Benzodiazepinen allmählich zunehmen. Panikattacken sowie Agoraphobie können nach Jahren chronischer Einnahme erstmalig auftreten. Diese Verschlechterung der Symptome während Langzeit-Benzodiazepin-Anwendung ist wahrscheinlich ebenfalls ein Toleranzphänomen, so dass "Entwöhnungs"-Symptome selbst unter der kontinuierlichen Einnahme der Medikation auftreten können. Toleranzphänomene treten jedoch nicht immer auf. Wie dem auch sei, in der Mehrzahl der Fälle verschwinden sie nach erfolgreicher Entwöhnung von Benzodiazepinen. Unter den ersten 50 Patienten, die in meiner Klinik behandelt wurden, entwickelten zehn zum ersten Mal Agoraphobie während der Benzodiazepin-Einnahme. Die agoraphobischen Symptome klangen jedoch innerhalb eines Jahres nach der Entwöhnung deutlich ab. Selbst Patienten, die sich nicht mehr aus dem Haus getraut hatten, waren während der Zeit des „follow-up“ (10 Monate bis 3,5 Jahre nach Entwöhnung) nicht mehr durch Agoraphobie behindert.

    Wegen möglicher Toleranzentwicklung gegenüber ihrer krampfverhütenden Wirkung werden Benzodiazepine in der Regel als nicht geeignet für die Langzeitkontrolle von Epilepsie betrachtet. Die Toleranz gegenüber motorischen Wirkungen der Benzodiazepine kann ein erstaunliches Ausmaß annehmen, so dass die Betroffenen selbst bei Einnahme hoher Dosen in der Lage sind Fahrrad zu fahren und mit dem Ball zu spielen. Hingegen scheint eine komplette Toleranzentwicklung gegenüber den Wirkungen auf Gedächtnis und Denkprozesse nicht einzutreten. Zahlreiche Studien zeigen, dass diese Funktionen bei chronischem Gebrauch eingeschränkt bleiben, und dass sich die Patienten nach einem Entzug nur langsam und nicht selten nur unvollständig davon erholen.

    Toleranz ist ein Phänomen, das mit zahlreichen anderen Substanzen, die chronisch konsumiert werden, auftritt, einschließlich Alkohol, Heroin, Morphin und Cannabis. Der Körper reagiert auf die kontinuierliche Gegenwart dieser Substanzen mit einer Reihe von Anpassungen, die darauf zielen, deren Wirkungen zu kompensieren. Im Falle der Benzodiazepine spielen sich diese Veränderungen an den GABA- und Benzodiazepin-Rezeptoren ab, die weniger empfindlich werden, so dass die physiologisch normale hemmende Wirkung auf GABA-Rezeptoren vermindert wird. Gleichzeitig treten Veränderungen innerhalb des dem GABA Rezeptor nachgeordneten, sogenannten „second messenger“ Systems auf, auf, durch die die Aktivität exzitatorischer Neurotransmitter partiell wieder hergestellt wird. Die Toleranzentwicklung auf die verschiedenen Effekte der Benzodiazepine unterliegt einer großen Variation zwischen Individuen, wahrscheinlich als Ergebnis der Unterschiede der körpereigenen neurologischen und biochemischen Ausstattung, die sich dann in der Persönlichkeitsausprägung und der Anfälligkeit gegenüber Stress äußert. Die Entwicklung von Toleranz ist eine der Ursachen, weswegen Menschen von Benzodiazepinen abhängig werden, und sie bestimmt auch das Ausmaß des Entzugssyndroms, das im nächsten Kapitel im Einzelnen beschrieben wird.

    Abhängigkeit. Benzodiazepine sind potentiell zu Abhängigkeit führende (addiktive) Substanzen: psychologische und physische Abhängigkeit kann innerhalb weniger Wochen oder Monate regelmäßiger Einnahme von Benzodiazepinen entstehen. Dabei gibt es verschiedene überlappende Arten der Benzodiazepin-Abhängigkeit.

    Abhängigkeit von therapeutischen Dosen. Menschen, die von therapeutischen Dosen der Benzodiazepine abhängig geworden sind, weisen für Gewöhnlich mehrere der folgenden Merkmale auf.

    1. Sie haben Benzodiazepine auf ärztliche Verordnung in therapeutischen (üblicherweise niedrigen) Dosierungen für Monate oder Jahre zu sich genommen.

    2. Sie haben nach und nach die Benzodiazepine gebraucht, um normale Tages-Aktivitäten ausführen zu können.

    3. Sie haben die Benzodiazepin-Einnahme fortgesetzt, obwohl die ursprüngliche Indikation für die Verordnung nicht mehr existierte.

    4. Sie haben Schwierigkeiten, die Benzodiazepin-Einnahme zu beenden, die Dosis zu reduzieren, und zwar wegen des Auftretens von Entzugssymptomen.

    5. Wenn Sie mit kurz wirksamen Benzodiazepinen behandelt wurden (siehe Tabelle 1), entwickeln Sie Angstsymptome zwischen den Einnahmen und entwickeln ein starkes Verlangen nach der folgenden Dosis.

    6. Sie kontaktieren ihren Arzt regelmäßig, um neue Verschreibungen zu erhalten.

    7. Sie werden äußerst nervös, wenn die nächste Verschreibung nicht absehbar zur Verfügung steht; sie tragen in der Regel ihre Tabletten mit sich herum und sie nehmen unter Umständen eine extra Dosis vor einem zu erwartenden stressreichen Ereignis oder einer Nacht in einer fremden Umgebung.

    8. Sie haben die Dosis der ursprünglichen Verordnung erhöht.

    9. Sie leiden trotz fortgesetzter Benzodiazepin-Einnahme unter Umständen unter Angstsymptomen, Panikanfällen, Agoraphobie, Schlaflosigkeit, Depression und zunehmend unter körperlichen Symptomen.

    Die Anzahl der Menschen, die weltweit ärztlich verordnete Benzodiazepine einnehmen, ist enorm hoch. Zum Beispiel berichteten in den USA ca. 11 % einer großen Bevölkerungsgruppe, die im Jahr 1990 befragt wurde, von einer Benzodiazepin-Einnahme im vorangegangenen Jahr. Etwa 2 Prozent der erwachsenen Menschen in den USA (ca. 4 Millionen) gebrauchen ärztlich verordnete Benzodiazepine als Schlaf- oder Beruhigungsmittel regelmäßig für die Dauer von 5-10 Jahren oder länger. Ähnliche Zahlen gelten für Großbritannien sowie die meisten anderen europäischen Länder und auch für Asien. Ein hoher Anteil dieser Langzeitnutzer von Benzodiazepinen ist zumindest zu einem bestimmten Ausmaß abhängig. Exakte Angaben darüber sind nicht verfügbar. Dies hängt auch damit zusammen, wie Abhängigkeit tatsächlich definiert wird. Wie dem auch sei, viele Studien haben gezeigt, dass 50 bis 100 % der Langzeit-Nutzer von Benzodiazepinen Schwierigkeiten haben, die Einnahme dieser Medikamente aufgrund des Auftretens nicht tolerabler Entzugssymptome (siehe Kapitel III) zu beenden.

    Abhängigkeit durch ärztliche Verordnungen hoher Dosierungen. Eine Minorität von Patienten, die mit einer ärztlich verordneten Benzodiazepin-Einnahme begonnen haben, benötigen fortwährend höhere und höhere Dosierungen. Zunächst mögen Sie Ihren Arzt davon überzeugen, den Umfang der Verschreibung zu erhöhen. Wenn jedoch für den verordnenden Arzt die für ihn „vertretbaren“ Grenzen überschritten sind, dann kontaktieren diese Patienten andere Ärzte oder Krankenhausabteilungen, um weiter darüber hinausgehende Mengen von Benzodiazepinen zu erhalten. In manchen Fällen kombinieren diese Patienten den Benzodiazepin-Missbrauch mit exzessivem Alkoholkonsum. Patienten dieser Kategorie neigen in hohem Maße zu Angstzuständen, Depression und haben unter Umständen gravierende Persönlichkeitsprobleme. Möglicherweise haben sie zusätzlich eine weitere Vorgeschichte der Einnahme von Sedativa und/oder Alkohol-Missbrauch. Sie verwenden typischerweise keine illegalen Drogen. Sie können sich jedoch durchaus mit Benzodiazepinen im Straßenhandel versorgen.

    „Recreational” Benzodiazepin-Missbrauch. Benzodiazepineinnahme außerhalb medizinischer Therapie ist ein zunehmendes Problem (sogenannter „recreational“ Gebrauch). Ein großer Anteil (30 – 90 Prozent) der Vielfachabhängigen konsumiert auch Bezodiazepine. In diesem Zusammenhang werden Benzodiazepine verwendet, um den "kick", der von illegalen Drogen induziert wird, allen voran von Opiaten, zu verstärken und um die Entzugssymptome anderer missbräuchlich eingenommener Drogen (Opiate, Barbiturate, Kokain, Amphetamine und Alkohol) zu unterdrücken. Menschen, die im Zuge einer Alkoholentgiftung mit Benzodiazepinen behandelt wurden, entwickeln unter Umständen eine Benzodiazepin-Abhängigkeit, die zu einer illegalen Benzodiazepin-Beschaffung führt, sowie auch häufig zu einem Rückfall in den Alkonhol-Missbrauch. Gelegentlich werden hohe Dosen von Benzodiazepinen auch allein verwendet, um "high" zu werden.

    Über „recreational” Missbrauch von Diazepam, Alprazolam, Lorazepam, Temazepam, Triazolam, Flunitrazepam und anderer Substanzen ist in verschiedenen Ländern berichtet worden. Üblicherweise werden die Substanzen oral eingenommen, nicht selten in Dosen, die weit über dem therapeutischen Niveau liegen. Diese Hochdosis-Abhängigen entwickeln ein hohes Maß an Toleranz gegenüber Benzodiazepinen und wenngleich sie die Substanzen nur intermittierend einnehmen, besteht das Risiko der Abhängigkeitsentwicklung. Die Entgiftung dieser Patienten kann wegen heftiger Entzugssymptomatik äußerst schwierig sein, bis hin zum Auftreten von generalisierten Krampfanfällen.

    Der gegenwärtige Umfang des „recreational” Missbrauchs von Benzodiazepinen ist wahrscheinlich relativ gering, vielleicht nur ein Zehntel derjenigen, die Benzodiazepine lange Zeit auf ärztliche Verordnung einnehmen. Sie beträgt jedoch wahrscheinlich mehrere Hunderttausend in den USA und in West Europa mit steigender Tendenz. Es ist ein irritierender Gedanke, dass die übermäßige medizinische Verordnung von Benzodiazepinen dazu geführt hat, dass sie im Haushalt vieler Menschen leicht verfügbar sind und unzweifelhaft den Weg zur illegalen Drogen-Szene geebnet hat. Die Benzodiazepin-Quellen für den illegalen Gebrauch sind heutzutage gefälschte Rezepte, Apothekendiebstahl und illegale Einfuhr.

    Sozioökonomische Kosten bei langdauernder Benzodiazepin-Einnahme. Die sozioökonomischen Kosten des gegenwärtigen hohen Niveaus von Langzeit-Benzodiazepin-Verordnungen und –Einnahmen sind erheblich und auch sehr schwierig zu quantifizieren. Dies wurde bereits im vorausgehenden Text mehrfach erwähnt und wird in Tabelle 3 zusammengefasst. Die Konsquenzen könnten reduziert werden, wenn ärztliche Verordnungen für langdauernden Benzodiazepin-Gebrauch eingeschränkt würden. Viele Ärzte verschreiben leichtfertig immer noch Benzodiazepine und diejenigen Patienten, die im Grunde eine Entzugsbehandlung wünschen, erhalten wenig Unterstützung und Information. Das folgende Kapitel vermittelt praktische Informationen über den Entzug/über die Entgiftung und es ist zu hoffen, dass dies für Patienten, die langdauernd Benzodiazepine einnehmen, und für ihre Ärzte von Nutzen ist.

    TABELLE 3. SOZIOÖKONOMISCHE KOSTEN LANGDAUERNDER BENZODIAZEPIN-EINNAHME

    1. Erhöhtes Risiko von Unfällen –im Straßenverkehr, zu Hause, am Arbeitsplatz
    2. Erhöhtes Risiko von Todesfällen infolge Überdosierung und infolge von Kombination mit anderen Medikamenten/Drogen

    3. Erhöhtes Risiko von Suizidversuchen vor allem bei gleichzeitiger Depression

    4. Erhöhtes Risiko von aggressivem Verhalten und Übergriffen

    5. Erhöhtes Risiko von Ladendiebstahl und anderen unsozialem Verhalten

    6. Ursache für Ehe- und häusliche Streitigkeiten und Trennung durch Beeinträchtigung der Gefühlslebens und Denkens

    7. Ursache für Verlust des Arbeitsplatzes und Arbeitslosigkeit

    8. Kosten für diagnostischen Untersuchungen, Krankenhausaufenthalt u.a. medizinische Maßnahmen

    9. Gefährliche Nebenwirkungen während Schwangerschaft und bei Neugeborenen

    10. Risiko der Abhängigkeitsentwicklung und von Missbrauch (bei therapeutischen and „recreational“ Gebbrauch)

    11. Kosten der Verschreibungen

    12. Kosten von Rechtsstreitigkeiten

    WEITERFÜHRENDE LITERATUR


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