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KAPITEL III: BENZODIAZEPIN-ENTZUGSSYMPTOME

BENZODIAZEPINE: WIRKUNGSWEISE UND
THERAPEUTISCHER ENTZUG

(Das Ashton Handbuch)

• PROTOKOLL FÜR DIE DURCHFÜHRUNG DER ENTWÖHNUNG VON BENZODIAZEPIN-ABHÄNGIGKEIT
• Medizinisch-wissenschaftliche Information aus einer Benzodiazepin-Entzugs-Klinik

Professor C Heather Ashton DM, FRCP
Überarbeitete Fassung August 2002


Ashton Handbuch Index-Seite
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Kapitel I: Die Wirkungsweise von Benzodiazepinen
Kapitel II: Durchführung der Entwöhnungsstherapie von Benzodiazepinen nach lang dauerndem Gebrauch
Kapitel II: Langsame Entwöhnungsschemata
• Kapitel III: Benzodiazepin-Entzugssymptome, akute & protrahierte

KAPITEL III

BENZODIAZEPIN-ENTZUGSSYMPTOME: AKUT UND PROTRAHIERT

Mechanismen der Entzugs-/Entwöhnungsreaktionen

Akute Entzugssymptome

Individuelle Symptome, ihre Ursachen und wie damit umzugehen ist
    Schlaflosigkeit, Alpträume, Schlafstörungen
    Belastende sich aufdrängende Erinnerungen
    Panikattacken
    Generalisierte Angstzustände, Panik und Phobien
    Psychologische Maßnahmen
    Psychologische Maßnahmen
    Physische Aktivitäten und andere Verfahren
    Übersteigerte Sinneswahrnehmung
    Depersonalisation, Derealisation
    Halluzinationen, Illusionen, Wahrnehmungsstörungen
    Depression, Aggression, Obsessionen
    Muskuläre Symptome
    Abnorme Körperwahrnehmungen
    Herz- und Lungensymptome
    Gleichgewichtsstörungen
    Verdauungsstörungen
    Störungen des Immunsystems
    Störungen der endokrinen Funktionen
    Anfälle und Krämpfe

Zusätzliche Medikation während Benzodiazepin-Entzug
    Antidepressiva
    Betablocker
    Hypnotika und Sedativa
    Andere Substanzen

Benzodiazepin-Gebrauch während und nach dem Entzug

Ernährung, Flüssigkeitszufuhr und körperliche Betätigung
    Rauchen

Verlauf des Entzugs/der Entwöhnung

Protrahierte Entzugssymptome
    Angstzustände (Anxiety)
    Depression
    Schlaflosigkeit
    Störungen der Sinneswahrnehmung und der motorischen Funktionen
    Mögliche Mechanismen für persistierende Störungen der Sinneswahrnehmungen und der motorischen Symptome
    Gedächtnis- und Wahrnehmungsstörungen
    Verursachen Benzodiazepine strukturelle Gehirnschäden?
    Gastrointestinale Symptome
    Umgang mit protrahierten Symptomen
    Wie lange befinden sich Benzodiazepine im Körper nach dem Entzug?

Epilog
    Ausbildung
    Wissenschaftliche Untersuchungen
    Behandlungsmethoden
    Verfügbarkeit von Einrichtung

Weiterführende Literatur

Tabelle 1. Benzodiazepin-Entzugs- /Entwöhnungssymptome
Tabelle 2. Entwöhnungssymptome nach Antidepressiva
Tabelle 3. Einige protrahierte Benzodiazepin-Entzugssymptome
Tabelle 4. Einige mögliche Ursachen der protrahierten Benzodiazepin Entzugssymptome

In Kapitel I wurde beschrieben, was Benzodiazepine im Körper bewirken und wie sich Toleranz und Abhängigkeit entwickeln können. Kapitel II befasste sich mit der Notwendigkeit eines langsamen Entwöhnungs- bzw. Entzugsprozesses und vermittelte praktische Beispiele für die Dosisreduzierung. Dieses dritte Kapitel beschäftigt sich damit, was geschieht, wenn Benzodiazepine den Körper im Verlauf des Entzugs verlassen und danach. Die Hauptaufmerksamkeit hier gilt den Entzugssymptomen und wie damit umzugehen ist, wenn sie auftreten.

Es kann nicht nachdrücklich genug gesagt werden, dass Entzugssymptome auf ein Minimum reduziert und weitgehend sogar vermieden werden können durch einen langsamen, schrittweisen Abbau der Benzodiazepin-Einnahme. Dies sollte individuellen Bedürfnissen und der Fähigkeiten des Patienten angepasst werden, so wie dies in Kapitel II beschrieben wurde. Einige Patienten, die lang dauernd Benzodiazepine einnehmen, erleben Entzugssymptome jedoch bereits während sie das Benzodiazepin noch einnehmen. Dies ist auf die Entwicklung einer Toleranz gegenüber der Substanz zu erklären (Kapitel I). Dies veranlasst Ärzte, gelegentlich die Dosis des Benzodiazepins zu erhöhen oder es durch ein anderes stärker wirkendes Benzodiazepin zu ersetzen. Die Analyse der ersten 50 Patienten, die in meiner Benzodiazepin-Entzugs-Klinik behandelt wurden, zeigten bereits bei ihrer ersten Vorstellung, dass sie unter Entzugssymptomen litten, obgleich sie noch Benzodiazepine einnahmen. Ihre Symptome umfassten das gesamte Spektrum von psychischen und physischen Symptomen, die üblicherweise als Benzodiazepin-Entzugssymptome bekannt sind. Der Beginn einer langsamen, schrittweisen Reduzierung der Benzodiazepin-Dosis verursachte bei diesen Patienten nur zu einer geringfügigen Zunahme dieser Symptome, die dann nach dem Entzug abnahmen.

Diejenigen, die schwere Symptome von Benzodiazepin-Entzug entwickeln, haben üblicherweise versucht, die Einnahme der Substanzen zu rasch abzubauen. Die mangelnde Aufklärung über die Symptome führt oft zu zusätzlichem Stress und ist die Ursache von Angstzuständen, die ihrerseits die Symptomatik verstärken. Aufgrund dieser zum Teil geradezu furchterregenden Erfahrungen ist es bei manchen Patienten zu einem Zustand entsprechend dem sog. posttraumatischen Stress-Syndrom gekommen. Ein korrektes Verständnis für die Ursachen und die Art der entsprechenden Symptome kann jedoch sehr hilfreich sein, die extreme Unruhe und Ängste, die mit dem Benzodiazepin-Entzug verbunden sind, zu beherrschen sowie Langzeitfolgen des Entzuges zu verhindern. Entzugsreaktionen sind tatsächlich eine normale Reaktion auf das Beenden zahlreicher chronisch verwendeter Medikationen/Drogen, einschließlich Alkohol, Opiate, Antipsychotika, Antidepressiva and selbst Medikamente zur Behandlung von Angina pectoris and Hypertonie.

Mechanismen der Entzugs-/Entwöhnungsreaktionen. Die Entzugssymptome sind in der Regel ein Spiegelbild der initialen Effekte eines Medikaments. Im Falle der Benzodiazepine kann das plötzliche Ende nach chronischem Gebrauch dazu führen, dass traumloser tiefer Schlaf durch Schlaflosigkeit und Alpträume ersetzt wird, Muskelrelaxation durch erhöhte Anspannung und Muskelspasmen, innere Ruhe durch Angstzustände und Panik, antikonvulsive Effekte durch epileptische Anfälle. Diese Reaktionen werden verursacht durch das abrupte Ende von Anpassungsmechanismen, die sich im Nervensystem als Reaktion auf die chronische Anwesenheit der Benzodiazepine entwickelt haben. Eine rasche Entfernung der Substanzen aus dem Gehirn ist wie eine plötzliche Öffnung von Schleusen „mit dem Ergebnis einer „rebound“-Überaktivität aller Systeme, die durch die Benzodiazepine gebremst worden sind und nun nicht länger zurückgehalten werden. Nahezu alle exzitatorischen Mechanismen im Nervensystem werden übersteuert”, neue Anpassungsmechanismen gegenüber dem Benzodiazepin-freien Zustand entwickeln sich, und das Gehirn wie das periphere Nervensystem sind in einem Zustand der Übererregbarkeit und extrem empfindlich, übererregbar und vor allem empfindlich gegenüber Stress

Akute Entzugssymptome. TDie herausragende Wirkung der Benzodiazepine sind sedierende, angstlösende Effekte – weswegen sie auch als sog. Tranquillizer (Beruhigungsmittel) entwickelt wurden. Daraus resultierend handelt es sich bei fast allen akuten Entzugssymptom-Erscheinungen um Angstzustände. Diese Zustände wurden als Angstzustände bereits bei Menschen beschrieben, die niemals Benzodiazepine zu sich genommen hatten, und sie wurden als psychische und physische Symptome einer Angsterkrankung erkannt und definiert, lange bevor Benzodiazepine entdeckt wurden. Jedoch sind bestimmte Gruppierungen von Symptomen ausgesprochen charakteristisch für den Benzodiazepin-Entzug. Dies schließt ein eine Überempfindlichkeit gegenüber sensorischen Stimuli (Geräusche, Licht, Berührung, Geschmack- und Geruchswahrnehmungen) und abnorme Wahrnehmungen (wie z.B. die Empfindung, dass sich der Boden bewegt, das Gefühl von nicht stattfindenden Bewegungen, der Eindruck, dass Wände und Boden kippen und/oder die Empfindung auf Wolle zu laufen). Auch ist es für die Angstzustände bei Benzodiazepin-Entzug charakteristisch, dass sog. Depersonalisation, das Gefühl der Unwirklichkeit, ein Prickeln, Kribbeln, Brennen auf der Haut und Taubheitsgefühle auftreten. Es kann zu visuellen Halluzinationen und abnormen Körperwahrnehmungen („mein Kopf fühlt sich an wie ein Fußball/Ballon")kommen, das Gefühl von auf der Haut kriechenden Insekten, Muskelzuckungen und Gewichtsverlust sind bei Benzodiazepin-Entzug häufig, jedoch ungewöhnlich für Angsterkrankungen.

Tabelle 1 enthält eine Liste der Symptome, die von den Patienten in meiner Entzugs-Klinik spontan angegeben wurden. Es ist zweifelsohne eine lange und höchstwahrscheinlich unvollständige Liste. Natürlich erlebt nicht jeder Patient alle diese Symptome und keines der Symptome muss zwingend auftreten. Der Entzug betrifft oft die individuell am meisten vulnerablen Aspekte: so z.B. wenn jemand zu Kopfschmerzen neigt, können diese im Entzug zunehmen. Wenn jemand zu einem „irritablen Darm“ und Verdauungsstörungen neigt, werden diese unter Umständen verstärkt. Derartige Symptome sind fast immer vorrübergehend und können günstig beeinflusst werden. Sie sind weniger furchteinflößend und erscheinen weniger wichtig und beängstigend, wenn ihre Ursachen verstanden werden. Darüber hinaus können die Patienten lernen, damit umzugehen und Symptome weitgehend kontrollieren, mit anderen Worten, es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich selbst zu helfen.

TABELLE 1. BENZODIAZEPIN-ENTZUGSSYMPTOME

PSYCHOLOGISCHE SYMPTOME
      Übererregbarkeit (Sprunghaftigkeit, Unruhe)
      Schlaflosigkeit, Albträume, andere Schlafstörungen
      Angstzustände, Panikattacken
      Agoraphobie, soziale Phobie
      Wahrnehmungsstörungen
      Depersonalisation, derealisation
      Halluzination, Missempfindungen
      Depression
      Zwänge
      Paranoide Gedanken
      Wut, Aggression, Irritabilität
      Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen
      Wiederkehrende Gedanken
      Verlangen nach dem Suchtmittel (Craving) (selten)

PHYSICHE SYMPTOME
      Kopfschmerzen
      Schmerzen/Steifigkeit - (Extremitäten, Rücken, Hals, Zähne, Kiefer)
      Kribbeln, Taubheitsgefühle, abnorme Wahrnehmungen, - (Extremitäten, Gesicht, Rumpf)
      Schwäche ("Beine wie Wackelpudding")
      Müdigkeit, Influenza-ähnliche Symptome
      Muskelzuckungen, gesteigerte Reflexe, Tics, „elektrische“ Schocks
      Tremor
      Schwindel, „light-headedness“, Gleichgewichtsstörungen
      verschwommenes Sehen, Doppelbilder, entzündete oder trockene Augen
      Tinnitus
      Hypersensitivität - (Licht, Geräusche, Berührung, Geschmack, Geruch)
      Gastrointestinale Symptome - (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall
      Obstipation, Schmerzen, Blähungen, Schluckbeschwerden)
      Appetitstörungen/Gewichtsänderungen
      Mundtrockenheit, Metallgeschmack, Geruchsstörung
      Flush, Schwitzen, Palpitationen
      Hyperventilation
      Blasenentleerungsstörungen, Menstruationsbeschwerden
      Hautausschlag, Juckreiz
      Anfälle (selten)

Diese Symptome wurden von Patienten beschrieben, die sich im Prozess des Entzugs/der Entwöhnung von den Benzodiazepinen befanden; sie sind nicht systematisch geordnet und wenige sind, wenn überhaupt, spezifisch für Benzodiazepin-Entzug. Diese Liste ist wahrscheinlich nicht vollständig. Unterschiedliche Individuen erleben die verschiedensten Kombinationen der genannten Symptome. Es ist bei weitem nicht zu befürchten, alle diese Symptome wirklich zu erleben!

INDIVIDUELLE SYMPTOME, IHRE URSACHEN UND WIE DAMIT UMZUGEHEN IST

Schlaflosigkeit, Alpträume, Schlafstörungen. Der Schlaf, der durch Benzodiazepine erzeugt wird, mag zwar zunächst als angenehm empfunden werden, es handelt sich jedoch nicht um normalen Schlaf. Benzodiazepine verhindert sowohl Schlaf mit Träumen („rapid eye movement sleep“ - REMS) als auch Tiefschlaf („slow wave sleep“ - SWS). Der zusätzliche Schlaf, der durch Benzodiazepine verursacht wird, handelt es sich überwiegend um leichten Schlaf, auch als Stadium-2-Schlaf bezeichnet. REM und SWS sind jedoch die wichtigsten Schlafzustände und absolut essentiell für die Gesundheit. Schlafentzugs-Studien haben ergeben, dass Schlafdefizite rasch im Sinne eines „rebound“-Phänomens durch Schlaf über normale Verhältnisse kompensiert werden, sobald es die Umstände erlauben.

Bei Menschen, die regelmäßig Benzodiazepine einnehmen, besteht die Tendenz, dass sich der Schlaf im Sinne von REMS und SWS (in Folge von Toleranz) normalisiert, das initiale Defizit jedoch bestehen bleibt. Während eines Entzugs, selbst nach Jahren von Benzodiazepin-Gebrauch, kommt es zu einer bemerkenswerten „rebound“-Zunahme von REMS. Als Resultat werden Träume intensiviert. Es können Alpträume auftreten sowie häufiges Erwachen während der Nacht. Dies ist eine normale Reaktion auf Benzodiazepin-Entzug und, obwohl unangenehm, ein Zeichen der beginnenden Erholung (recovery) von den Benzodiazepinen. In dem Maße, wie das REMS-Defizit kompensiert wird, kommt es üblicherweise nach 4-6 Wochen zu einer Abnahme der Alpträume, und die Schlafstörungen lassen nach.

Die Rückkehr von SWS scheint noch eine längere Zeit nach dem Entzug zu benötigen, wahrscheinlich weil das Maß an Ängsten stark ausgeprägt und das Gehirn überaktiv ist, und nur schwierig vollständig zur Ruhe kommt. Manche Patienten haben Schwierigkeiten einzuschlafen und erleben das sog. "restless legs syndrome" sowie plötzliche Muskelanspannungen (Myocloni), als würden sie hinfallen oder plötzlich von einer Halluzination wie bei einem lauten Schlag betroffen („hypnagogic hallucination“), Phänomene, die dazu führen, dass sie in der Nacht plötzlich aufwachen. Diese Störungen können Wochen und gelegentlich Monate anhalten.

Wie dem auch sei, all diese Symptome lassen mit der Zeit nach. Der Bedarf an Schlaf ist so stark, dass normaler Schlaf schließlich zurückkehrt. In der Zwischenzeit ist es wichtig, sog. Schlafhygiene-Maßnahmen zu ergreifen. So sollte auf Tee, Kaffee oder andere Stimulanzien, ebenso wie auf Alkohol vor dem Schlafengehen verzichtet werden. Techniken der Entspannung und Angstlösung sollten ggf. praktiziert werden und können, ebenso wie physische Aktivität hilfreich sein. Die Einnahme der gesamten oder der überwiegenden Dosis der Benzodiazepine vor dem Schlafengehen während der Entwöhnungsperiode kann ebenso hilfreich sein. Gelegentlich ist ein anderes, nicht abhängig machendes Schlafmittel indiziert (siehe Kapitel über adjuvante Medikationen).

„Intrusive” Erinnerungen. Ein erstaunliches Symptom, das bei Patienten im Prozess des Benzodiazepin-Entzuges auftreten kann, sind sog. immer wiederkehrende, sich aufdrängende, „intrusive“ Erinnerungen und Gedanken. Dabei wird z.B. plötzlich eine lebhafte Erinnerung an eine Person heraufbeschworen, über die sie jahrelang nicht nachgedacht oder sie gesehen hat. Unter Umständen erscheint das Gesicht dieser Person beim Blick in den Spiegel. Diese Erinnerungen treten ungewollt auf und können sich wiederholen und dabei andere Gedanken verdrängen. Die interessante Sache bei diesen Erinnerungen ist, dass sie oft gleichzeitig mit wilden Träumen auftreten. Diese können auch mit einiger Verzögerung nachdem die Benzodiazepin-Dosisreduktion begonnen wurde, auftreten. Nach neueren wissenschaftlichen Schlafuntersuchungen sind bestimmte Schlafqualitäten (REMS and SWS) von großer Bedeutung für die Erinnerungsfunktion des Gehirns. Beide Phänomene können jedoch ein Zeichen für die beginnende Normalisierung der Gehirnfunktion sein, wenngleich sie äußerst unangenehm und störend sein können.

Störungen des Gedächtnis- und Konzentrationsvermögens sind ebenfalls Erscheinungen des Benzodiazepin-Entzuges und werden wahrscheinlich durch die anhaltenden Wirkungen der Substanz verursacht. Therapeuten sollten darauf vorbereitet sein, ihre verbale Unterstützung immer wieder, Woche für Woche, zu wiederholen, da Worte rasch vergessen werden.

Panikattacken. Panikattacken können erstmals während des Entzuges auftreten. Zahlreiche Patienten haben jedoch schon vorher langdauernde Erfahrungen mit diesem äußerst unangenehmen Symptom. Die Schauspielerin Glenda Jackson, die nicht unter der Einwirkung von Benzodiazepin stand, beschrieb sie folgendermaßen: „Gott, diese Panikattacken, man denkt, dass man stirbt; das Herz schlägt so stark, so dass man das Gefühl hat, es springt aus der Brust. Man hustet stark und hat das Gefühl, nicht atmen zu können – und all das ist verbunden mit schrecklichem Schütteln und Tremor und dem Gefühl von Eiseskälte“ (Sunday Times Magazine S.15, 17. Oktober 1999). Diese Anfälle sind charakteristisch für verschiedene Angstzustände und das Ergebnis eines Hyperaktivitäts-Sturms im zentralen und peripheren Nervensystem, speziell in den Zentren, in denen Angst- und Fluchtreaktionen auf Notsituationen reguliert werden. Die für die Kontrolle dieser Angstreaktionen verantwortlichen Gehirnzentren sind bis dahin von Benzodiazipinen gebremst worden, und es kommt zu einem hochaktiven „rebound“-Phänomen, wenn die Benzodiazepine aus dem Körper ausgeschieden werden.

Obwohl sie extrem unangenehm und belastend empfunden werden, sind diese Panikattacken nicht lebensgefährlich und dauern in der Regel nicht länger als 30 Minuten. Darüber hinaus ist es möglich, durch Übungen die Kontrolle darüber zu erlangen. Die verschiedenen Möglichkeiten werden im Folgenden beschrieben. Die Fähigkeit, Kontrolle über eine Panikattacke zu erlangen nimmt von Mal zu Mal zu, und es ist notwendig, auch in der üblichen häuslichen Umgebung damit umzugehen. Allerdings haben Panikattacken (und andere Entzugssymptome) die Eigenschaft, im ungünstigsten Moment, meist außerhalb von Zuhause, aufzutreten. Unter solchen Bedingungen ist es extrem wichtig, am Ort des Auftretens zu bleiben, und dem Impuls wegzulaufen zu widerstehen. Dr. Peter Tyrer empfiehlt, sich wie folgt zu verhalten, wenn schwere Entzugssymptome, wie Panikattacken, auftreten und wenn man z.B. gerade mit einem Wagen durch einen Supermarkt fährt:

„Atmen Sie bewusst tief und langsam, vergewissern Sie sich, dass Sie tief in die Lunge einatmen."

„Wenn Sie dies tun, werden Sie feststellen, dass sich Ihre Hände entspannen und sich nicht mehr um den Griff des Supermarkt-Wagens klammern. "

„Bewegen Sie sich nicht, bis Sie das Gefühl haben, dass die Anspannung aus Ihren Händen weicht. Mit jedem tiefen Atemzug sollten Sie fühlen, dass die Anspannung nachlässt und, wenn dies der Fall ist, Ihre Symptome abnehmen und schließlich ganz aufhören."

Peter Tyrer, How to Stop Taking Tranquillisers, Sheldon Press, London 1986, p.63.

Die Erfahrung, dass eine Panikattacke kontrolliert werden kann, ohne eine Tablette einzunehmen, ist ein starker, positiver Impuls für das Selbstvertrauen und die Entwicklung neuer „stress-coping”-Strategien ist häufig der Schlüssel zum erfolgreichen Benzodiazepin-Entzug. Panikattacken verschwinden üblicherweise innerhalb von sechs Wochen nach der vollständigen Entwöhnung.

Generalisierte Angstzustände, Panik und Phobien. Es gibt zahlreiche nicht-pharmakologische Vorgehensweisen, Menschen mit Angstzuständen zu helfen. Einige davon werden im Folgenden beschrieben, es würde jedoch den Rahmen dieser Veröffentlichung sprengen, wenn alle Details dieser Techniken beschrieben würden. Bei weitem nicht alle waren für jeden Patienten notwendig. Sie können jedoch für einige Schwierigkeiten hilfreich sein.

(1) Psychologische Maßnahmen

Verhaltenstherapie

  • Ziel, angstbesetztes Verhalten durch besser adaptiertes Verhalten zu ersetzen

  • Progressive Muskelrelaxation (reduziert Muskelanspannung und Angstzustände)

  • Zwerchfellatmung (viele Angstpatienten hyperventilieren)

  • „Geleitete Imagination“ – Hervorrufen bildhafter Vorstellungen durch einen Therapeuten (Fokussierung auf angenehme, entspannte Situationen, entspannende Musik oder beruhigende Worte können zu Hause verwendet werden)

  • Kontrollierte Exposition auf Angstsituationen mit schrittweiser Zunahme bis die Angst abnimmt
  • Kognitive Verhaltenstherapie

  • Erlernen eines besseren Verständnisses des Gedankenmusters, so dass anders auf angstauslösende Situationen reagiert werden kann

  • „Coping skills”-Therapie/Angstmanagement (Lernverfahren), um Angst auslösende Situationen zu vermeiden und damit umzugehen (wenn sie auftreten)

  • Kognitives Verfahren um alte Mechanismen wieder neu zu erlernen
  • (2) Ergänzende medizinische Maßnahmen

  • Akupunktur

  • Aromatherapie

  • Massage, Reflexzonentherapie

  • Homöopathie
  • (3) Physische Aktivitäten und andere Verfahren

  • Sport - Aerobic, Joggen, Schwimmen, „Pilates", Walking und jedwede Form von Aktivität, die als angenehm empfunden wird

  • Yoga – Zahlreiche verschiedene Arten und Techniken

  • Meditation – Zahlreiche verschiedene Arten and Techniken
  • Die Auswahl und der Erfolg jeder dieser verschiedenen Maßnahmen ist individuell sehr unterschiedlich. Die verschiedenen psychologischen Verfahren wurden überwiegend wissenschaftlich getestet und führen zu den besten Langzeitergebnissen. Das Ergebnis hängt jedoch zu einem hohen Maße von dem Geschick und der Erfahrung des Therapeuten ab, einschließlich seiner/ihrer Kenntnisse über Benzodiazepine und der Entwicklung einer guten Beziehung zwischen Therapeut und Patient.

    Die komplementären medizinischen Verfahren können alle hilfreich sein, ihre Wirkungen sind jedoch in der Regel nur vorübergehend. So hilft Akupunktur unter Umständen nur während der unmittelbaren Anwendung, jedoch nicht darüber hinaus.

    Manche Patienten reagieren sehr gut auf Yoga und Meditationsverfahren. So konnte z.B. ein Patient, der wegen einer spastischen Paralyse an einem Rollstuhl gefesselt und außerdem blind war, mit Hilfe von Meditation von der Benzodiazepin-Einnahme entwöhnt werden. Sogar die Spastik ließ nach. Es ist jedoch bei weitem nicht jeder Patient dazu in der Lage, die mentale und physische Konzentration aufzubringen, die für die erfolgreiche Anwendung von meditativen Verfahren notwendig ist. Physische Aktivität ist jedoch in jedem Fall nützlich.

    Wie dem auch sei, verschiedene Vorgehensweisen sind sinnvoll und hilfreich für unterschiedliche Bedürfnisse der Individuen.

    Übersteigerte Sinneswahrnehmung. Ein charakteristisches Phänomen des Benzodiazepin-Entzuges ist eine verstärkte Empfindsamkeit gegenüber allen Wahrnehmungen – Hören, Sehen, Berühren, Geschmack und Geruch. Im Extremfall können diese Wahrnehmungen äußerst unangenehm sein. Eine Patientin musste alle Uhren in ihrem Haus abstellen, da sie deren Ticken als unerträglich laut empfand. Andere Patienten benötigten für ihre Brillen starke Sonnengläser, da sie helles Licht nur schwer ertragen. Wiederum andere empfinden, dass ihre Haut besonders empfindlich ist und leiden unter Umständen unter dem Gefühl, Insekten würden über ihren Körper laufen. Der Herzschlag kann hörbar werden, und es kann zu Ohrgeräuschen (Tinnitus - siehe unten) kommen. Zahlreiche Patienten klagen über einen metallischen Geschmack im Mund während andere einen ungewöhnlichen und unangenehmen Geruch wahrnehmen. Diese Wahrnehmungen, einschließlich des unangenehmen Geruchs (den üblicherweise niemand anderes wahrnimmt) sind auch bei Angstzuständen in der Abwesenheit von Benzodiazepinen beschrieben worden. Ähnlich wie Schlafstörungen und Panik sind sie das Resultat einer abnorm erhöhten Aktivität des zentralen Nervensystems. Diese sog. Hypervigilanz ist Teil der physiologisch normalen Angst- und Fluchtreaktion, die durch Benzodiazepine gebremst werden und die sich als „rebound”-Phänomene während eines Entzuges/einer Entwöhnung bemerkbar machen.

    Diese Empfindungen bilden sich in dem Maße zurück, wie der Entzugsprozess fortschreitet, und viele Patienten sind erfreut über neue, scheinbar ungewöhnliche Klarheit ihrer Wahrnehmungen. Nur während des Entzuges realisieren sie, wie stark ihre Empfindungen durch die Benzodiazepine eingeschränkt waren. Eine Patientin beschrieb, wie erfreut sie darüber war, als sie sich plötzlich wieder in der Lage sah, individuelle Grashalme auf ihrer Wiese zu erkennen; es war, als würde ein Vorhang hochgezogen. Derartige Wahrnehmungen sind kein Grund, besorgt zu sein; sie sind Zeichen eines erfolgreichen Fortschritts der Entwöhnung.

    Depersonalisation, Derealisation. Gefühle der Depersonalisation und Unwirklichkeit sind typische Benzodiazepin-Entzugserscheinungen, obwohl sie auch bei anderen Angstzuständen auftreten. Dazu kommt es häufig infolge einer zu raschen Reduktion der Dosierung potenter Benzodiazepine und tritt vor allem nach Einzelbeobachtung besonders bei der Entwöhnung von Clonazepam und Alprazolam auf. Dieser Zustand ist dadurch charakterisiert, dass sich die Person von ihrem Körper als getrennt und sich quasi von außen selbst beobachtend empfindet. Ähnliche Erfahrungen wurden in todesnahen Zuständen beschrieben, wenn der/die Betroffene sich über seinem/ihrem Körper empfindet, getrennt von den Ereignissen, die unter ihm stattfinden. Diese Wahrnehmungen werden auch beschrieben von Menschen, die sich in extremen Notfallsituationen befanden und von Menschen, die gefoltert wurden. Es handelt sich dabei also nicht um Benzodiazepin-spezifische Phänomene.

    Diese Erfahrungen bedeuten normale Abwehr-Reaktionen als ein Schutz gegen unerträgliche Leiden/Qualen. Es könnte sich dabei um primitive Reaktionen des Gehirns handeln, ähnlich dem „Todstellreflex“ im Tierreich im Falle einer aussichtslosen Gefahr. Ähnlich wie andere Benzodiazepin-Entzugssymptome verschwinden sie mit der Zeit und sind nicht als Zeichen einer Abnormalität oder Geisteskrankheit zu betrachten.

    Halluzinationen, Illusionen, Wahrnehmungsstörungen. Die Benzodiazepin-Entzugssymptome, die am meisten Furcht hervorrufen, „verrückt zu werden“, sind Halluzinationen. Unerträgliche Halluzinationen sind bei Menschen aufgetreten, die einem abrupten Entzug von hohen Benzodiazepin-Dosen ausgesetzt waren. Diese Erscheinungen sind extrem selten, wenn die Dosis in kleinen Schritten wie in Kapitel II beschrieben, reduziert wird. Wenn Halluzinationen auftreten, so sind sie in der Regel visuell – Patienten haben z.B. berichtet, dass eine große Fledermaus auf ihrer Schulter sitzt oder die Erscheinung von großen Hörnern, die aus dem Kopf wachsen, es können jedoch auch akustische, Geruchs- und taktile Halluzinationen auftreten. Etwas weniger angsteinflößend sind Halluzinationen von kleinen Lebewesen, üblicherweise Insekten, die, wie schon erwähnt, mit der entsprechenden Wahrnehmungen auf der Haut verbunden sind. Gelegentlich sind Halluzinationen verbunden mit Illusionen und Trugwahrnehmungen („misperceptions“), wie z.B. ein Mantel, der über einer Tür hängt, die Illusion auslöst, eine Person zu sein. Wenn Fußboden plötzlich schräg ist und die Wände nach innen zu kippen scheinen, sind dies am ehesten Wahrnehmungsverzerrungen.

    Die Ursachen dieser bizarren Symptome sind wahrscheinlich ähnlich denen, die auch für das Delirium Tremens im Alkoholentzug verantwortlich sind (Halluzinationen, rosa Elefanten oder weiße Mäuse im Delirium Tremens im Alkoholentzug). Wie schon im Kapitel I erwähnt, verursachen Benzodiazepine schwerwiegende Veränderungen im Gehirn, und der plötzliche Entzug kann zu einer unkontrollierten Freisetzung von Dopamin, Serotonin und anderen Neurotransmittern führen, die sowohl bei Psychosen Halluzinationen verursachen als auch im Alkoholentzug oder bei der Entwöhnung von Kokain, Amphetamin und LSD-Mißbrauch.

    Sobald Halluzinationen, die zunächst real zu sein scheinen, als unreal, also lediglich als Halluzinationen erkannt werden, verlieren sie rasch an Bedeutung. Sie sind kein Vorbote von psychotischen Erkrankungen, sie erklären sich lediglich dadurch, dass Benzodiazepine Unregelmäßigkeiten in der Hirnfunktion auslösen, die sich mit der Zeit von selbst regeln. Ein guter Therapeut ist üblicherweise in der Lage, einen Patienten zu beruhigen, der von Benzodiazepin-Entzugsbedingten Halluzinationen geplagt wird. In keinem Fall sollten diese während eines langsamen Entzugsprozesses Anlass zu Besorgnis sein.

    Depression, Aggression, Zwänge. Depressive Symptome sind häufig, sowohl während lang dauernder Benzodiazepin-Einnahme als auch während des Entzuges. So ist es nicht überraschend, dass sich manche Patienten depressiv fühlen, wenn sie unter dem Druck entzugs-bedingter psychischer und physischer Symptome stehen. Manchmal wird die Depression so stark, dass der Zustand als eine "Majoren Depression" diagnostiziert wird. Diese Art der Depression beinhaltet das Risiko eines Suizids und erfordert die Behandlung mit Psychotherapie und/oder antidepressiv wirkenden Medikamenten.

    SEine schwere Depression kann das Ergebnis von biochemischen Veränderungen im Gehirn sein, die durch den Benzodiazepin-Gebrauch entstanden sind. Benzodiazepine vermindern die Aktivität von Serotonin und Noradrenalin und anderen Neurotransmittern, von denen angenommen wird, dass sie ursächlich in die Entstehung von Depressionen involviert sind. Antidepressiv wirkende Medikamente, einschließlich der selektiven Serotonin-„reuptake”-Inhibitoren (SSRIs) wirken durch eine Erhöhung der Aktivität dieser endogenen Neurotransmitter.

    Depressionen unter Entzugsbedingungen können protrahiert verlaufen und, wenn sie nicht durch einfache motivierende psychologische Unterstützung innerhalb einiger Wochen gebessert werden können, ist es notwendig, ärztliche Unterstützung ggf. mit einer Behandlung mit Antidepressiva zu suchen. Depressionen unter Entzugsbedingungen reagieren ebenso auf Antidepressiva wie depressive Erkrankungen, wenn sie ohne Benzodiazepin-Einnahme auftreten. Wenn, wie in vielen Fällen, bereits Antidepressiva in Verbindung mit den Benzodiazepinen eingenommen werden, ist es wichtig, die antidepressive Therapie fortzusetzen, solange der Benzodiazepin-Entzug andauert. Die Entwöhnung von dem Antidepressivum kann dann getrennt vom Benzodiazepin-Entzug zu einem späteren Zeitpunkt vollzogen werden (siehe Kapitel II, Schema 13).

    Aggressive Verhaltensstörungen treten ebenso in Verbindung mit niedriger Serotonin-Aktivität im Gehirn auf (neben anderen Faktoren) und Wutausbrüche sowie Irritabilität während des Benzodiazepin-Entzuges sind auf ähnliche Mechanismen zurückzuführen wie eine Depression. Jedoch verschwinden diese Symptome üblicherweise spontan und halten nicht lange an. Zwanghafte Verhaltensmuster (Obsessive Compulsive Disorder, OCD) lassen sich ebenfalls mit SSRIs behandeln, was auf ähnliche ursächliche Mechanismen hinweist. Zwanghafte Charakterzüge können vorübergehend zunehmen und spiegeln ggf. eine Mischung aus Angst und Depression wider. Auch dies lässt üblicherweise in dem Maße nach, wie die Angstzustände abnehmen.

    Muskuläre Symptome. Benzodiazepine sind sehr wirksame muskel-entspannende Substanzen und werden deshalb klinisch bei spastischen Muskelerkrankungen verwendet (Rückenmarkserkrankungen oder Verletzungen etc.) sowie bei den qualvollen Muskelspasmen, die bei Tetanus oder Tollwut auftreten. Es ist demzufolge nicht überraschend, dass das Beenden einer langandauernden Benzodiazepin-Einnahme zu einem Anstieg der Muskelanspannung im Sinne eines „rebound“-Phänomens führt. Dies erklärt zahlreiche Symptome, die während eines Benzodiazepin-Entzuges auftreten, wie z.B. Muskelsteifigkeit mit Einschränkung der Funktion der Extremitäten, des Rückens, des Nackens und des Unterkiefers. Anhaltende Muskelanspannung ist wahrscheinlich die Ursache für Muskelschmerzen mit entsprechender Verteilung. Bei Kopfschmerzen handelt es sich in der Regel um Spannungskopfschmerz als Folge der Kontraktion der Nacken-, Hals- und Kopfmuskulatur, häufig beschrieben als ein Gefühl, als habe man ein straffes Band um den Kopf gespannt. Schmerzen im Kiefer und in den Zähnen ist wahrscheinlich die Folge unwillkürlichen Aufeinanderbeißens der Zähne, wie es häufig unbewusst im Schlaf geschieht.

    Außerdem sind die Nerven, die zu den Muskeln führen, in einem Zustand der Überaktivität, was Tremor, Muskelspasmen und -zuckungen schon durch den geringsten Stimulus auslösen kann. Diese anhaltende Aktivität führt unter Umständen zu einem Gefühl von Müdigkeit und Schwäche ("Gummi-Beine"). Darüber hinaus ist die Muskelfunktion, insbesondere die der kleinen Muskeln an den Augen, nicht gut koordiniert, so dass es zu unscharfem Sehen und Doppelbildern oder sogar zu Muskelspasmen der Augenlider kommen kann (Blepharospasmus).

    Keines dieser Symptome ist wirklich gefährlich und muss Anlass zu Besorgnis geben. Die Muskelschmerzen und Steifigkeit unterscheiden sich normalerweise nur wenig von einem Muskelkater, wie er nach einer ungewöhnlichen körperlichen Anstrengung auftreten kann und ist ebenso zu erwarten, wie bei einem gut trainierten Athleten nach einem Marathon.

    Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die diese Symptome zu lindern, wie z.B. Dehn-Übungen für die Muskulatur, wie sie von den meisten Physiotherapeuten gelehrt werden, leichte körperliche Übungen (Gymnastik), heiße Bäder, Massage und andere übliche Entspannungstechniken. Diese Maßnahmen führen in der Regel zunächst nur zu einer vorübergehenden Besserung, wenn sie jedoch regelmäßig praktiziert werden, so können sie eine Normalisierung des Muskeltonus beschleunigen – die schließlich von selbst eintreten sollte.

    Körperwahrnehmungen. Während des Entzuges kann es zu zahlreichen verschiedenen seltsamen Mißempfindungen wie Kribbeln, das Gefühl von Nadeln, Arealen mit Taubheit, das Gefühl elektrischer Schocks, ungewöhnliche Empfindungen von heiß und kalt, Juckreiz sowie ein brennendes Gefühl auf oder unter der Haut kommen. Diese Symptome sind schwierig zu erklären, es ist jedoch anzunehmen, dass sich die sensiblen Nervenfasern ebenso wie die motorischen mit ihren Verbindungen zum Rückenmark und zum Gehirn in einem übererregten Zustand befinden. Es ist möglich, dass sensible Rezeptoren in der Haut, in der Muskulatur und im Gewebe, das die Knochen umgibt, Impulse mit einem chaotischen Muster aussenden, die, wie beschrieben, empfunden werden.

    In meiner Klinik haben Untersuchungen der Nerven-Leitfähigkeit ergeben, dass diese Symptome nicht mit abnormaler Funktion der peripheren Nerven verbunden waren – so gab es z.B. keine Hinweise für eine periphere Neuritis. Die Symptome waren jedoch nicht selten so ausgeprägt, dass selbst Neurologen vor einem Rätsel standen. Bei drei Patienten wurde sogar bei der Kombination von Taubheitsgefühlen, Muskelspasmen und Doppelbildern die Diagnose Multiple Sklerose gestellt. Diese Verdachts-Diagnose und alle Symptome verschwanden jedoch, bald nachdem die Patienten die Bezodiazepin-Einnahme beendet hatten.

    Somit sind diese sensorischen Symptome, obwohl zunächst beunruhigend, in aller Regel kein Grund zur Sorge. Sehr selten können sie allerdings auch über eine längere Zeit anhalten (siehe Abschnitt über protrahierte Symptome). Die gleichen Maßnahmen, die zur Linderung der muskulären Symptome verwendet werden können, sind auch hier zu empfehlen und die Symptomatik verschwindet in aller Regel nach dem Ende des Entzugs.

    Herz und Lungen. Palpitationen, pochender Herzschlag, hoher Puls, Hautrötung, Schwitzen und Atemnot sind die üblichen Begleiterscheinungen von Panikattacken. Sie können jedoch auch ohne Panik auftreten. Sie sind unter diesen Umständen in aller Regel kein Zeichen für eine Herz- oder Lungenerkrankung, sondern es handelt sich schlicht um das Ergebnis eines überaktiven, autonomen Nervensystems. Langsame, tiefe Zwerchfellatmung und Entspannung, wie bereits bei Panikattacken beschrieben, können bei diesen Zuständen helfen. Man sollte sich darüber keine allzu großen Sorgen machen: diese Phänomene würden ebenso auftreten, wenn man hinter einem Bus herrennt oder zu rasch eine Treppe hinaufsteigt.

    Gleichgewichtsstörungen. Bei manchen Patienten kommt es während des Benzodiazepin-Entzuges zu einem Gefühl der Unsicherheit beim Stehen. Manchmal empfinden sie, zur Seite gestoßen zu werden oder sie fühlen sich schwindelig, als würden sich die Dinge um sie drehen. Ein wichtiges Organ bei der Kontrolle der motorischen Stabilität ist das Kleinhirn. Dieses Organ besitzt eine hohe Dichte von GABA und Benzodiazepin-Rezeptoren (siehe Kapitel I) und es ist einer der wichtigen Orte, an denen Benzodiazepine wirken. Exzessive Dosen von Benzodiazepinen, ähnlich wie Alkohol, verursachen Unsicherheit beim Gang, undeutliche Sprache und eine, motorische und allgemeine Diskoordination, einschließlich der Unfähigkeit, geradeaus zu gehen. Es nimmt einige Zeit in Anspruch, dass sich das Kleinhirn-System nach dem Benzodiazepin-Entzug restabilisiert und die Symptome können anhalten, bis dieser Prozess vollständig beendet ist. Übungen, wie z.B. auf einem Bein zu stehen, zuerst mit offenen, dann mit geschlossenen Augen, können die Normalisierung beschleunigen.

    Verdauungsprobleme. Zahlreiche Patienten haben während des Entzuges gar keine Probleme mit ihrer Verdauung, bei einigen kommt es sogar dazu, dass sie am Essen mehr gefallen finden. Andere jedoch, welche möglicherweise dafür empfindlicher sind, klagen über zahlreiche Symptome, wie sie in Verbindung mit dem sog. „irritablen Darmsyndrom" auftreten können. Dazu gehören Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Obstipation, Bauchschmerzen, vermehrte Gasbildung und Überblähungen des Darmes mit Herzbeschwerden. Für einige dieser Patienten waren die Symptome so beeinträchtigend, dass sie sich invasiver Untersuchungen, wie z.B. Gastroskopien unterzogen haben, ohne dass in aller Regel dabei ein krankhafter Befund erhoben werden konnte. Diese Symptome sind zum Teil das Resultat einer Überaktivität des autonomen Nervensystems, durch das die Motilität und die Darmsekretion geregelt werden, und das unter Umständen äußerst sensibel auf Stress reagiert, einschließlich des durch den Benzodiazepin-Entzug verursachten Stresses. Darüber hinaus gibt es Benzodiazepin-Rezeptoren am Darm. Es ist nicht geklärt, ob und inwieweit die Funktion dieser Rezeptoren von dem Benzodiazepin-Entzug beeinflusst werden. Sie mögen jedoch einen Teil der Ursache für die Darm-Irritabilität ausmachen.

    Gelegentlich kommt es während des Entzuges auch zu einem erheblichen Gewichtsverlust. Dies kann seine Ursache darin haben, dass Benzodiazepine den Appetit vermehren, so wie dies in Tierversuchen gezeigt wurde, und es nach dem Weglassen zu einem „Rebound-Effekt“ kommt. Demgegenüber nehmen andere Patienten während des Entzuges zu. Gewichtsveränderungen sind in aller Regel nicht von einem derartigen Ausmaß, dass man sich deswegen Sorgen machen müsste. Bei einigen Patienten kommt es zu Schluckbeschwerden, der Hals erscheind dann wie abgeschnürt, insbesondere wenn Patienten in Gesellschaft essen sollen. Dabei handelt es sich in aller Regel um ein Zeichen von Angstzuständen. Es handelt sich dabei um ein Symptom, das auch unabhängig von Benzodiazepin-Entzug bei Angst-Erkrankungen auftritt. Entspannungsverfahren, die Einnahme des Essens allein, in kleinen Portionen und ohne jede Eile, können die Dinge vereinfachen und die Symptome verschwinden in der Regel in dem Maße, wie die Angstzustände abnehmen.

    Die meisten Verdauungsstörungen lassen nach dem Entzug nach. Sie können aber bei einigen Patienten persistieren und sich zu einem protrahierten Symptomenkomplex entwickeln. Dies führt häufig dazu, dass die Patienten glauben, an einer Nahrungsmittelallergie oder einer Candida (Pilz-) Infektion zu leiden. Diese Fragen werden weiter erörtert in dem Abschnitt über protrahierte Symptome.

    Störungen des Immunsystems. „Warum bekomme ich so zahlreiche Infektionen?" Diese Frage wird immer wieder von Patienten während des Entzugs- / Entwöhnungsprozesses gestellt. Es scheint, dass sie zu häufigen Erkältungen, Entzündungen der Nebenhölen, Ohrinfektionen, Blasenentzündungen, oralen und vaginalen Entzündungen (Candida) sowie anderen Pilzinfektionen der Haut und der Nägel neigen sowie zu Mundulcerationen und Grippe. Auch über ungewöhnliche Reaktionen auf Antibiotika, die zur Behandlung einiger dieser Infektionen verordnet werden, wird häufig berichtet.

    Es ist jedoch unklar, ob es unter den Bedingungen der Benzodiazepin-Entwöhnung wirklich zu einer Zunahme der Häufigkeit von Infektionen kommt, da es keine kontrollierten Untersuchungen im Vergleich mit entsprechenden anderen Patientenpopulationen gibt. Zahlreiche Faktoren beeinflussen jedoch das Immunsystem. Zweifelsohne ist einer dieser Faktoren Stress mit einer erhöhten Freisetzung des sog. Stresshormons Cortisol, das die normalen Abwehrreaktionen des Organismus hemmt. Ein anderer Faktor ist die Depression, die auch mit Stress verbunden ist und bei der es ebenfalls zu einer vermehrten Cortisol-Sekretion kommt. Erhöhte Cortisol-Spiegel können die Abwehrfähigkeit gegenüber Infektionen vermindern und ein plötzliches Aufflammen einer beginnenden Infektion verursachen. Der Benzodiazepin-Entzug ist zweifelsohne eine stressreiche Angelegenheit. Seltsamerweise waren bei den Patienten, bei denen ich selbst Blut-Cortisol-Spiegel bestimmt habe, dieser jedoch niedrig. Das heißt, diese Angelegenheit ist zurzeit ungeklärt und erfordert zusätzliche wissenschaftliche Untersuchungen. In diesem Zusammenhang ist es für diejenigen, die einen Benzodiazepin-Entzug durchmachen, von Bedeutung, ein möglichst gesundes Leben zu führen, mit einer ausgeglichenen Nahrung, mit viel körperlicher Aktivität, aber auch Ruhe und der Vermeidung von zusätzlichem Stress, wenn immer möglich. Der langsame Abbau der Benzodiazepin-Dosis (Kapitel II) ist die beste Art, den Entzugsstress zu mindern.

    Störungen der endokrinen Funktionen. Benzodiazepine haben zweifelsfrei Auswirkungen auf das endokrine System (Hormonsystem), Zusammenhänge, die jedoch bisher beim Menschen nicht näher untersucht worden sind, sowohl während Langzeitbehandlung als auch im Entzug. Frauen klagen häufig über Menstruationsprobleme, diese sind jedoch generell häufig, und es existiert keine eindeutige Information, dass sie direkt mit Benzodiazepinen und/oder dem Entzug in Verbindung zu bringen sind. Ein Teil der weiblichen Patienten, die Benzodiazepine lang dauernd eingenommen haben, hatten Hysterektomien in ihrer Vorgeschichte, aber auch dazu besteht keine gesicherte Verbindung zum Gebrauch von Benzodiazepinen. Gelegentlich klagen Männer wie auch Frauen, die Benzodiazepine einnehmen, über Anschwellen der Brüste, und es ist denkbar, dass Benzodiazepine die Freisetzung des Hormons Prolaktin bewirken. Symptome des endokrinen Systems verschwinden in der Regel nach dem Ende des Benzodiazepin-Entzuges.

    Anfälle, Krämpfe. Benzodiazepine sind potente Antikonvulsiva. Sie können lebensrettend sein beim Status epilepticus (anhaltende Krampfanfälle, einer nach dem anderen) und bei Anfällen, die durch eine Überdosis anderer Medikamente (wie zum Beispiel Trizyklische Antidepressiva) auftreten können. Jedoch kann ein rascher Entzug insbesondere von hochpotenten Benzodiazepinen selbst zu epileptischen Anfällen im Sinne eines „rebound“-Phänomens führen. Derartige Erscheinungen sind jedoch extrem selten unter Verwendung von langsam eliminierten Benzodiazepinen (wie zum Beispiel Diazepam) oder unter langsamer Dosis-Reduzierung. Wenn dennoch ein Anfall unter diesen Umständen auftritt, so handelt es sich in der Regel um einen einzelnen, nicht länger andauernden Anfall ohne bleibende Schäden. Andere Phänomene, die unter raschem Entzug auftreten können, sind psychotische Symptome, sowie schwere Verwirrtheit und Delir, aber auch diese treten nur sehr selten unter langsamer Dosis-Reduzierung auf. Bei Befolgung der Entwöhnungsschemata, beschrieben in Kapitel II, kann man davon ausgehen, dass diese Komplikationen vermieden werden können.

    ZUSÄTZLICHE MEDIKAMENTE WÄHREND BENZODIAZEPIN-ENTZUG

    „Gibt es Medikamente, die ich nehmen kann und die mir helfen, den Entzug durchzustehen?" Diese Frage wird häufig von Patienten gestellt, die sich einem Benzodiazepine-Entzugsprogramm entschlossen haben. Im Gegensatz dazu gibt es andere Patienten, die sich, wenn sie sich für ein Entzugsprogramm entscheiden, es radikal ablehnen, zusätzlich Medikamente, selbst die einfachsten Schmerzmedikamente, einzunehmen. Die Antwort auf die erste Frage ist, dass es keine anderen Medikamente gibt, die das Benzodiazepin ersetzen können, es sei denn, es handelt sich um ein anderes Benzodiazepin oder um eine Substanz, die ähnlich wie Benzodiazepine wirkt (wie z.B. Barbiturate oder das Schlafmittel Zolpidem). Derartige Medikamente sollten auf jeden Fall vermieden werden, da sie nur eine Art der Abhängigkeit durch eine andere ersetzen. (Es gibt allerdings eine Methode, die in den USA von einigen Ärzten empfohlen wird und die darin besteht, das Benzodiazepin durch Phenobarbital, ein langwirkendes Barbiturat, zu ersetzen und dieses dann langsam abzubauen. Diese Methode hat jedoch keine speziellen Vorteile im Vergleich zu der langsamen Reduktion langwirkender Benzodiazepine).

    Es gibt jedoch einige Medikamente, mit denen bestimmte Entzugssymptome beeinflusst werden können und die demzufolge in spezifischen Situationen Verwendung finden können, jedoch nicht für einen routinemäßigen Gebrauch empfohlen werden. In der Regel werden sie nur vorübergehend eingesetzt. Sie können jedoch manchmal helfen, eine schwierige Situation zu überwinden und erleichtern den Patienten die Möglichkeit, das Entzugsprogramm fortzusetzen.

    Antidepressiva. Antidepressiva sind die wichtigsten unterstützenden Medikamente, die während eines Entzugs in Frage kommen. Wie bereits erwähnt, kann es während einer Entzugsbehandlung zu einer Depression kommen, die so schwer ist, dass sie mit einem Suizidrisiko einhergeht, obwohl dies bei langsamem Abbau der Dosis nur sehr selten der Fall ist. Wie bei jeder anderen Depressionssymptomatik reagiert eine Depression, die durch einen Entzug bedingt ist, ebenfalls auf antidepressiv wirkende Medikamente und hat wahrscheinlich die gleichen biochemischen Veränderungen im Gehirn. Sowohl die älteren trizyklischen Antidepressiva (z.B. Doxepin, Amitriptylin und andere) wie auch die selektiven Serotonin Wiederaufnahmehemmer (SSRI, wie z.B. Fluoxetin, Paroxetin, Citalopram und andere) sind effektiv und können indiziert sein, wenn die Depression schwer ist. Es gibt eine Denkschule überwiegend von Ex-Tranquilliser-Abhängigen, die gegen die Einnahme jeder Art von zusätzlichen Medikamenten während des Entzuges ist. Es kam jedoch in mehreren klinischen Untersuchungen während Benzodiazepin-Entzug zu Suiziden. Im Falle des Auftretens einer schweren Depression mit Suizidrisiko während eines Benzodiazepin-Entzuges wäre es demzufolge unverantwortlich, auf eine medikamentöse antidepressive Behandlung zu verzichten.

    Antidepressiva haben jedoch ihre eigenen Nachteile. Einer besteht darin, dass es 2-3 Wochen dauert, bis ihre Wirkung eintritt. Dies bedeutet, dass der Patient, ebenso wie sein/ihr Arzt, auf mögliche Frühsymptome einer Depression achten sollten, damit eine entsprechende Therapie durch den Arzt rechtzeitig begonnen werden kann. Der zweite Nachteil ist, dass bei Beginn der Behandlung Angstzustände vorübergehend zunehmen können, sowohl mit Trizyklika als auch mit Serotonin Wiederaufnahmehemmern. Das ist vor allem dann während des Benzodiazepin-Entzuges ein besonderes Risiko, wenn das allgemeine Angstniveau bereits hoch ist. Um dieses Phänomen zu vermeiden, ist es wichtig, mit der niedrigst möglichen Dosis des Antidepressivum zu beginnen und es dann in kleinen Schritten, während zwei bis drei Wochen, zu erhöhen. Lassen Sie sich von Ihrem Arzt nicht dazu überreden, sofort mit der "therapeutischen" Dosis für die Depression zu beginnen. Darüber hinaus ist auch zu befürchten, dass bestimmte Antidepressiva, wie z.B. Fluoxetin oder Citalopram eine starke stimulierende Wirkung haben können und demzufolge Zustände von Agitation, Unruhe, bis hin zu Selbstmordgedanken auslösen können; mit einer niedrigen Initialdosis und sorgfältiger Überwachung können diese Risiken vermieden werden.

    Es ist im Allgemeinen möglich, den Benzodiazepin-Entzug langsam fortzusetzen, während mit einer antidepressiven Medikation begonnen wird. Es kann jedoch auch von Vorteil sein, die Benzodiazepin-Dosis für zwei bis drei Wochen nicht weiter zu reduzieren, bis die antidepressive Wirkung einsetzt (eine Erhöhung der Benzodiazepin-Dosis sollte jedoch vermieden werden). Antidepressiva erleichtern es nicht nur, die depressiven Symptome zu ertragen, sondern sie entwickeln auch nach 2-3 Wochen einen angstlösenden Effekt. Tatsächlich sind sie die für Langzeittherapie besser geeigneten Substanzen, bei der Behandlung von Angstzuständen, Panikanfällen und Phobien, und sie sind in einigen Fällen durchaus geeignet, den Entzugsprozess von den Benzodiazepinen zu fördern.

    Wenn eine antidepressive medikamentöse Behandlung einmal begonnen wurde, so sollte sie für mehrere Monate (üblicherweise 6 Monate) konsequent fortgesetzt werden, um das Wiederauftreten depressiver Symptome zu vermeiden. Während dieser Zeit kann die Benzodiazepin-Entwöhnung fortgesetzt werden und das Antidepressivum wirkt manchmal wie ein willkommenes Schutzschild in der Endphase der Benzodiazepin-Entwöhnung. Es ist äußerst wichtig, den Benzodiazepin-Entzug vor dem Beginn einer Entwöhnung vom Antidepressivum zu beenden. Nicht selten nehmen Patienten neben ihrer Langzeit-Benzodiazepin-Medikation bereits Antidepressiva. In diesen Fällen sollte die antidepressive Medikation über das Ende des Benzodiazpin-Entzuges hinaus fortgesetzt werden.

    Ein weiterer Nachteil antidepressiver Medikamente besteht darin, dass sie selbst Entzugs-ähnliche Symptome verursachen, wenn sie zu rasch abgesetzt werden. Dies ist ein Phänomen, das nicht allen Ärzten geläufig ist. Die nach Absetzen von Antidepressiva auftretenden Symptome (auch Absetzsymptome genannt) beinhalten Angstzustände, Schlafstörungen, Grippe-ähnliche Symptome, gastrointestinale Symptome, erhöhte Irritabilität und Traurigkeit, alles Symptome, die sich von denen des Benzodiazepin-Entzuges nicht wesentlich unterscheiden. Diese Reaktionen können in der Regel durch langsamen Abbau der Dosierung über Wochen bis hin zu 3 Monaten vermieden werden (siehe Tabelle 2). Die meisten Patienten, die einen Benzodiazepin-Entzug hinter sich haben, sind Experten im Hinblick auf Dosisreduktion, wenn es so weit ist, ein Antidepressivum abzubauen.

    Neben dem therapeutischen Effekt im Hinblick auf Depression und Angstzustände, haben einige Antidepressiva auch sedierende Eigenschaften, die vor allem dann von Nutzen sein können, wenn die Patienten unter Schlafstörungen leiden. So sind z.B. niedrige Dosen von Amitryptylin oder Doxepin unter Umständen sehr hilfreich als Schlaf induzierende Abendmedikation. Sie können für mehrere Wochen genommen werden und dann ebenfalls schrittweise reduziert werden, z.B. in dem sie nur jeden zweiten Abend genommen werden. Entzugsprobleme treten normalerweise nicht auf, wenn die Dosierung niedrig war und die Medikamente nur für kurze Phasen und intermittierend genommen wurden.

    TABELLE 2. ENTZUGSSYMPTOME VON ANTIDEPRESSIVA

    PHYSICHE SYMPTOME
          Gastrointestinal: Bauchschmerzen, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen
          Grippe-ähnlich: Müdigkeit, Kopfschmerz, Muskelschmerzen, Schwäche, Schwitzen, Schüttelfrost, Palpitationen
          Schlafstörungen: Schlaflosigkeit, Alpträume
          Sensorische Störungen: Schwindel, „light-headedness“,
          Nadelstiche, elektrische Schock Sensationen
          Motorische Störungen: Tremor, Gleichgewichtsstörungen, Gangunsicherheit, Muskelsteifigkeit, abnormale Bewegungsabläufe

    PSYCHISCHE SYMPTOME
          Angst, Unruhe, Dysphorie
          Weinkrämpfe
          Irritabilität,
          Überreaktionen
          Aggression
          Depersonalisation
          Gedächtnisstörungen
          Konfusion

    Betablocker. In einigen Fällen kommt es während des Benzodiazepin-Entzuges zu schweren Palpitationen, Muskelzittern oder Zuckungen, Phänomene, die den Fortgang der Entzugbehandlung behindern können. Diese Symptome können durch Betablocker behandelt werden. Diese Substanzgruppe hemmt die Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin, die aus dem überaktiven sympathischen Nervensystem freigesetzt werden. Sie verlangsamen die Herzfrequenz und verhüten überschießende Muskelaktivität. Obwohl sie kaum auf psychische Symptome wirken, sind sie jedoch geeignet, den verhängnisvollen Kreislauf zwischen Palpitationen (Herzjagen) oder Tremor auf der einen Seite und Angstzuständen auf der anderen Seite zu durchbrechen. Manche Patienten nehmen niedrigdosierte Betablocker regelmäßig, während andere sie nur dann verwenden, wenn tatsächlich physische Symptome auftreten oder eine Panikattacke nicht zu kontrollieren zu sein scheint. Betablocker werden in höheren Dosierungen verwendet in der Behandlung des Bluthochdruckes und Angina pectoris. Sie werden jedoch für den Benzodiazepin-Entzug nicht empfohlen. Wenn Betablocker, die über längere Zeit eingenommen wurden, abgesetzt werden müssen, so sollte die Dosis auch langsam reduziert werden, da anderenfalls Entzugssymptome, vor allem erhöhe Herzfrequenz und Palpitationen, auftreten können.

    Hypnotika und Sedativa. Die meisten Hypnotika und Sedativa haben einen ähnlichen Wirkmechanismus wie Benzodiazepine. Dies schließt ein Barbiturate, Chloraldurat, Zopiclon, Zolpidem und übrigens auch Alkohol. Keine dieser Substanzen sollte während des Benzodiazepin-Entzuges eingenommen werden. Alle können eine ähnliche Art von Abhängigkeit, wie von Benzodiazepinen, auslösen, und einige haben eine deutlich höhere Toxizität.

    Wenn Schlafstörungen ein wirkliches Problem sind, so sollte ein entsprechendes Schlaf induzierendes trizyklisches Antidepressivum verwendet werden (siehe Absatz über Antidepressiva). Alternativ ist es auch möglich, ein Antihistaminikum mit sedativer Nebenwirkung (z.B. Diphenylhydramin, Promethazin, Hydroxizin) vorübergehend zu verwenden. Weder Antidepressiva noch Antihistaminika haben denselben Wirkungsmechanismus wie Benzodiazepine.

    Einige Medikamente (Neuroleptika), ähnlich wie „major tranquilizers“ haben sedative Wirkung und werden verwendet zur Behandlung von Übelkeit, Schwindel und Reisekrankheit. Sie werden gelegentlich während des Entzuges verordnet. Sie haben jedoch schwerwiegende Nebenwirkungen (motorische Diskoordinationsstörungen wie bei Parkinson) und sind deshalb für eine länger dauernde Anwendung oder als ein Ersatz für Benzodiazepine nicht zu empfehlen.

    Andere Substanzen. SVerschiedene andere Medikamente wurden in klinischen Untersuchungen während Benzodiazepin-Entzug getestet, um zu sehen, ob sie den Fortgang des Entwöhnungsprozesses beschleunigen, die Entzugssymptome vermindern und/oder die Langzeit-Erfolgsrate verbessern können. Viele dieser Trials (Untersuchungen) beinhalteten das, was man unter einem „over-rapid“-Entzug versteht. So wurde z.B. in einer US-Studie an Patienten während Benzodiazepin-Entzug nach Langzeit-Einnahme (Rickels, Schweizer et al. Psychopharmacology 141,1-5,1999) ein sedierend wirkendes Antidepressivum (Trazodon) und ein Antikonvulsivum (Natrium Valproat) getestet. Keine der beiden Substanzen hatte einen Effekt auf die Schwere der Entzugssymptome, die Rate des Entzugs betrug jedoch 25% der initialen Benzodiazepin-Dosis pro Woche – ein ziemlich schneller Entzug! Andere Substanzen haben sich als nicht hilfreich erwiesen in Entzugs-Trials von 4-6 Wochen Dauer: Buspiron, Carbamazepin, Clonidin, Nifedipin und Alpidem.

    Es gibt einige Fallberichte, dass Gabapentin, Tiagabine und möglicherweise auch Pregabalin im Hinblick auf Schlafstörungen und Angstzustände während des Entzugs hilfreich sein können. Bis jetzt existieren jedoch keine kontrollierten Studien, und es ist nicht klar, ob und inwieweit diese Substanzen selbst Entzugssymptome verursachen, wenn sie wieder abgesetzt werden. Wenn die Dosisreduktion des Benzodiazepins langsam genug erfolgt, wird in aller Regel nur selten eine zusätzliche Medikation benötigt. Lediglich in speziellen Situationen mag es notwendig und sinnvoll sein, Antidepressiva, Betablocker, sedierend wirkende Antihistaminika oder Antikonvulsiva zusätzlich zu verwenden. Es besteht jedoch keine Notwendigkeit, auf übliche Schmerzmedikamente wie Aspirin, Ibuprofen oder Metamizol für alltägliche Schmerzbeschwerden zu verzichten.

    BENZODIAZEPIN-GEBRAUCH WÄHREND UND NACH DEM ENTZUG

    Was geschieht, wenn jemand nach dem Ende eines erfolgreichen Benzodiazepin-Entzuges eine chirurgische Operation benötigt? Benzodiazepine werden vor großen Operationen als Prämedikation verwendet sowie für Sedierung und Amnesie während kleiner chirurgischer und anderer invasiver Prozeduren. Demzufolge sind „Ex-User“ äußerst besorgt, dass sie wieder abhängig werden könnten, wenn man ihnen für diese Zwecke ein Benzodiazepin verabreicht. Man kann ihnen mit gutem Gewissen versichern, dass eine Einzeldosis eines kurz wirkenden Benzodiazepins, das für eine Operation benötigt wird (in der Regel Midazolam), sie nicht in den Zustand der Abhängigkeit zurückwirft. Der Stress einer Operation kann jedoch die Angstsymptome, die während des Benzodiazepin-Entzuges erlebt wurden, wieder auslösen. Eine Vielzahl von Patienten, die ich selbst beobachtet habe, erhielt wiederholt Midazolam (Dormicum), ein kurzwirksames Benzodiazipin für zahnärztliche Behandlungen (Phobien gegenüber Zahnbehandlung sind häufig) sowie andere Benzodiazepine einschließlich Diazepam für größere oder kleinere chirurgische Eingriffe, was sie ohne Schwierigkeiten überstanden haben.

    Ebenso können diejenigen, die erneut Benzodiazepine eingenommen haben, nachdem ein erster Entzugsversuch erfolglos war, mit Aussicht auf Erfolg entwöhnt werden wie „Anfänger“.

    ERNÄHRUNG, FLÜSSIGKEITSZUFUHR UND KÖRPERLICHE BETÄTIGUNG

    Vor allem in Nordamerika schenkt man den Fragen der Ernährung während Benzodiazepin-Entzug besondere Beachtung. Welche Nahrung/Getränke sollten vermieden werden? Welche Nahrungszusätze sollten verwendet werden? Dies sind häufige Fragen. Nach meiner Auffassung besteht keine Notwendigkeit, der Ernährung übermäßige Beachtung zu schenken. Von manchen Stellen wird empfohlen, Koffein und Alkohol vollständig zu vermeiden. Das Besondere an einer langsamen Dosis-Reduzierung im häuslichen Umfeld besteht jedoch darin, dass sich die Patienten an ihren normalen Lebensstil ohne das Benzodiazepin gewöhnen sollen. Nach meiner Erfahrung gibt es keinen Grund, Kaffee und Tee in vernünftigem Maß zu vermeiden. Ebenso sind vernünftige Mengen von Kakao, Schokolade, Coca Cola absolut kompatibel mit Benzodiazepin-Entzug, mit Ausnahme einiger weniger Individuen, die ausgesprochen sensitiv auf Koffein mit Angstzuständen reagieren. Selbstverständlich sollte man koffeinhaltige Getränke vor dem Schlafengehen vermeiden.

    Ähnliches gilt für Alkohol. Ein oder zwei Gläser Wein sind durchaus akzeptabel (und unter Umständen sogar gut für die Gesundheit). Allerdings ist es von Bedeutung, dass die reduzierte Benzodiazepin-Dosis nicht durch vermehrten Alkoholkonsum kompensiert wird. Maßvolles Verhalten ist an dieser Stelle angezeigt.

    Das gleiche gilt für die übliche Nahrung. Der Mensch ist besonders gut adaptiert durch die Evolution, seine Nahrung aus einem weiten Spektrum von Quellen zu beziehen. Eine normale gesunde Ernährung, die reichlich Früchte und Gemüse, ebenso wie Proteine und Fette enthält und nicht zuviel reinen Zucker oder „Fast-Food“, liefert alle notwendigen Ernährungskomponenten. Es gibt keine Evidenz dafür, dass die Nahrung mit besonderen Zusätzen wie Vitamine oder Mineralien angereichert werden sollte.

    Eine normale Ernährung schließt eine entsprechend normale Menge von Flüssigkeitszufuhr ein. Die Erfordernisse für Wasser und Salzzufuhr unterliegen großen Variationen entsprechend der Körpergröße, den Umgebungstemperaturen, dem Ausmaß körperlicher Aktivität etc. Demzufolge können keine allgemeinen Empfehlung gegeben werden. Es besteht jedoch keine Notwendigkeit, während des Entzuges zusätzlich Unmengen von Flüssigkeit zu sich zu nehmen unter der Vorstellung, Verunreinigung oder Toxine aus dem Körper auszuschwemmen. Der Körper ist in der Regel dazu in der Lage, dies auch selbst bei minimaler Flüssigkeitszufuhr zu regeln und ein Übermaß an Wasser wird lediglich ausgeschieden.

    A normal diet includes a normal amount of fluid consumption. Requirements for water and salt vary with body size, environmental temperature, amount of exercise, etc. so cannot be stated categorically. However, there is no need to drink extra amounts of fluid during withdrawal with the idea of "flushing out impurities/toxins". The body is very good at doing this, even at minimal fluid consumption, and surplus water is simply excreted.

    Regelmäßige moderate körperliche Aktivität ist während des Entzuges zu empfehlen, da diese dazu beiträgt, eine allgemeine Fitness und Ausdauer zu entwickeln und aufrecht zu erhalten. Besonders solche körperlich sportlichen Aktivitäten, die Freude bereiten, sind sehr zu empfehlen.

    Rauchen. Im Hinblick auf die gegenwärtige Haltung zu dieser Angewohnheit wage ich es kaum, auch das Rauchen als eine unglückliche Abhängigkeit zu erwähnen. Für diejenigen, die Raucher sind, dürfte es zuviel verlangt sein, gleichzeitig mit dem Benzodiazepin-Entzug auch das Rauchen einzustellen. Generell sollten sich die Patienten für die Dauer ihres Benzodiazepin-Entzuges nicht zu viele Sorgen über ihre unerwünschte Angewohnheit machen, da dies den Entzugsstress unter Umständen noch verstärken würde. In dieser spezifischen Situation ist es besser, sich zu entspannen und in dieser Hinsicht nachsichtig mit sich selbst zu sein.

    VERLAUF DES BENZODIAZEPIN-ENTZUGES

    Es ist charakteristisch, dass die Entzugssymptome kommen und gehen, in ihrer Schwere und ihrer Art von Tag zu Tag und Woche zu Woche variieren, selbst im Verlauf eines Tages. Manche Symptome kommen und verschwinden wieder, andere treten stattdessen auf. Man sollte sich von diesen wellenartigen Erscheinungen nicht entmutigen lassen. Diese Schwankungen lassen in ihrer Schwere und ihrer Häufigkeit mit der Zeit nach. Typischerweise treten nach einigen Wochen „Fenster“ von Normalität auf, in der Sie sich für Stunden oder Tage gut fühlen. Allmählich werden diese „Fenster“ häufiger und halten länger an, während die unangenehmen Gefühle allmählich nachlassen.

    Es ist unmöglich zu sagen, wie lange Entwöhnungssymptome anhalten und auftreten. Es hängt sehr davon ab, an welcher Stelle sie begonnen haben, wie viel Unterstützung Sie benötigen und erhalten, wie Sie die Dosis-Reduktion handhaben sowie von vielen anderen Faktoren. Mit einer langsamen Dosis-Reduktion haben manche Langzeit-Benzodiazepin-Abhängige praktisch alle ihre Symptome verloren, wenn sie die letzte Tablette genommen haben und in der Mehrzahl der Fälle verschwinden die Symptome innerhalb einiger Monate. Eine Vulnerabilität gegenüber zusätzlichem Stress kann unter Umständen länger anhalten und maximaler Stress kann zumindest vorübergehend dazu führen, dass einige Symptome wiederkehren. Wie auch immer Ihre Symptome geartet sein mögen, es ist am besten, sich damit nicht aufzuhalten. In diesem Falle sind Symptome eben nur Symptome des Entzuges, und es handelt sich nicht um Zeichen einer Erkrankung, sondern um solche der Erholung. Darüber hinaus werden Sie, in dem Maße, wie sich ihre Gedanken und Gefühlswelt bessert, mehr und mehr in der Lage sein, mit den noch verbliebenen Entzugssymptomen erfolgreich umzugehen, so dass sie an Bedeutung verlieren.

    Es ist eine beruhigende Beobachtung, die in zahlreichen klinischen Studien gemacht wurde, dass der letztendliche Erfolg des Entzuges nicht abhängig ist von der Dauer der Dosis oder der Art des Benzodiazepins, von der Entzugsrate, von der Schwere der Symptome, von der psychiatrischen Diagnose oder von der Häufigkeit vorausgegangener erfolgsloser Entzugsversuche. Dies bedeutet, dass jeder motivierte Benzodiazepin-Abhängige sich mit Aussicht auf Erfolg einem Benzodiazepin-Entzugsprozess unterwerfen kann.

    PROTRAHIERTE ENTZUGSSYMPTOME

    Eine kleine Anzahl von Patienten, die einen Benzodiazepin-Entzug hinter sich haben, leiden weiterhin unter sogenannten protrahierten Symptomen, die selbst nach Monaten oder Jahren nicht verschwinden. Es gibt Schätzungen, dass 10-15 Prozent der Patienten nach langdauernder Benzodiazepin-Einnahme ein sogenanntes „Post-Entzugssyndrom“ entwickeln. Viele der Patienten haben Benzodiazepine 20 Jahre oder länger eingenommen und hatten schlechte Erfahrung während des Entzuges. Die Häufigkeit dieser protrahierten Symptome ist jedoch wesentlich geringer bei denjenigen, die eine langsame Dosis-Reduktion unter ihrer eigenen Kontrolle praktiziert haben.

    Tabelle 3 zeigt die häufigsten lang anhaltenden Symptome. Sie umfassen Angstzustände, Schlafstörungen, Depression, verschiedene Empfindungs- und motorische Störungen, gastrointestenale Beschwerden sowie Gedächtnis- und Wahrnehmungsstörungen. Die Ursachen, weswegen die Symptome bei einigen Patienten persistieren, sind nicht bekannt. Wahrscheinlich spielen viele Faktoren eine Rolle, einige davon in direkter Verbindung mit den Benzodiazepinen, andere sind indirekte oder sekundäre Effekte (siehe Tabelle 4).

    TABELLE 3. EINIGE PROTRAHIERTE BENZODIAZEPIN-ENTZUGSSYMPTOME

    Symptome
    Gewöhnlicher Verlauf
    Angstzustände - lassen innerhalb eines Jahres nach
    Depression - kann mehrere Monate anhalten und durch Antidepressiva gebessert werden
    Schlafstörungen - allmählich abnehmend innerhalb 6-12 Monate
    Sensorische Symptome: Tinnitus, Kribbeln, taube Stellen, brennende Schmerzen in den Extremitäten, das Gefühl innerlichen Zitterns, seltsame Hautempfindungen - allmähliches Verschwinden, kann aber bis zu einem Jahr oder länger andauern
    Motorische Symptome: Muskelschmerzen, Schwäche, schmerzhafte Krämpfe, Tremor, Zuckungen, Spasmen, Schüttelatacken - allmähliches Verschwinden, kann aber bis zu einem Jahr oder länger andauern
    Eingeschränkte Gedächtnisleistung und Wahrnehmung - allmähliches Verschwinden, kann aber bis zu einem Jahr oder länger andauern
    Gastrointestinale Symptome - allmähliches Verschwinden, kann aber bis zu einem Jahr oder länger andauern

     

    TABELLE 4. MÖGLICHE URSACHEN FÜR PROTRAHIERTE BENZODIAZEPIN-ENTZUGSSYMPTOME

    Mögliche Mechanismen
    Wirkungen
    Erlernen von „stress-coping” Strategien durch Benzodiazepine blockiert, exponiert während des Entzuges Angst, Vulnerabilität auf Stress
    2. Einschränkung der Gedächtnisleistung durch Benzodiazepine verhindert normale Resolution von einschneidenden Lebensereignissen, die während des Entzuges zu Tage treten Angst, Depression
    3. Traumatische Erfahrungen während des vorausgegangenen Entzuges Post-traumatische Stress Symptome
    4. (?) Biochemische Alterationen verursacht durch Benzodiazepine (Serotonin, Norepinephrin, [Noradrenalin], Stress Hormone) Depression
    5. (?) Übererregbarkeit des Nervensystems infolge persistierender Veränderungen an den GABA/Benzodiazepine Rezeptoren Sensorische und motorische Symptome, Angst, Schlafstörungen
    6. (?) Strukturelle Schädigung des Gehirngewebes Gedächtnis- und Wahrnehmungsstörungen
    7. (?) Veränderungen in den Eingeweiden und Immunsystem Gastrointestinale Symptome
    8. (?) Lang-Zeit Retention von Benzodiazepine in Körpergeweben Verlängert die Übererregbarkeit des Nervensystems

    (?) mögliche Mechanismen, für die es bisher keine wissenschaftliche Evidenz gibt

    Angstzustände. (Anxiety disorder). Angstzustände, die nach der akuten Phase des Entzuges weiterhin auftreten, sind möglicherweise die Folge davon, dass ein durch Benzodiazepine verursachter Lerndefekt aufgedeckt wird. Benzodiazepine haben die spezifische Eigenschaft, das Erlernen neuer Fähigkeiten zu beeinträchtigen, einschließlich von Strategien, Stress erfolgreich zu bewältigen. Diese Fähigkeiten werden beginnend mit der Kindheit bis zum Erwachsenenalter erworben und entwickeln sich mit zunehmenden Lebenserfahrungen. Ihre Entwicklung kann unter Umständen während der Jahre, in denen Benzodiazepine genommen werden, blockiert werden. Dies kann dazu führen, dass der Patient nicht in der Lage ist, stressreiche Situationen mit Erfolg zu bewältigen. Die vollständige Erholung von diesen Zuständen kann viele Monate in Anspruch nehmen und erfordert das Erlernen neuer Strategien, mit Stress umzugehen, anstelle der Einnahme einer Tablette.

    Weiterhin kann der Entzug von den Benzodiazepinen Probleme im Leben des Betroffenen aufdecken, die vorher niemals voll erkannt worden waren. So kann z.B. die durch Benzodiazepine verursachte Beeinträchtigung des Gedächtnisses die normale Bewältigung eines persönlichen Stresszustandes, wie bei einem Trauerfall oder einem Autounfall, verhindern. Derartige vergrabene oder halb vergessene Erfahrungen müssen unter Umständen nach dem Entzug bewältigt werden und können sowohl Angstzustände als auch Depressionen verlängern. Es ist nicht selten für einen Witwer oder eine Witwe, der oder die zunächst beim Tod seines/ihres Partners Benzodiazepine erhalten hat, nun zum ersten Mal wirklich durch den Trauerprozess gehen muss, dessen Ursache viele Jahre zurückliegt.

    Ein weiteres Problem kann bei denjenigen auftreten, die beängstigende Erfahrungen während des Entzuges durchgemacht haben. Das ist nicht selten bei denjenigen, die einen zu raschen Entzug ohne adäquate Aufklärung erlebt haben, wie es oft in Krankenhäusern oder Entgiftungszentren der Fall ist oder wenn sich ein Hausarzt kurzfristig weigert, Benzodiazepine weiter zu verschreiben. Die davon Betroffenen entwickeln unter Umständen das sogenannte posttraumatische Stresssyndrom, das durch fortwährende unangenehme Erinnerungen oder Alpträume charakterisiert ist und bei dem somit Angstzustände persistieren.

    Zusätzlich sind viele Benzodiazepin-Abhängige häufig konstitutionell überspannte, äußerst sensible Menschen mit relativ schlechtem Selbstbewusstsein, deren Angstprobleme zu der ärztlichen Verordnung von Benzodiazepinen geführt haben und deren anhaltende Angstzustände (möglicherweise verstärkt durch die Benzodiazepine) den Arzt veranlasst hat, die Verordnung fortzusetzen. Es kann lange Zeit in Anspruch nehmen, dass diese Menschen ihre psychische Stabilität und volles Selbstvertrauen wieder gewinnen.

    Trotz aller dieser Probleme lassen die protrahierten Angstzustände einschließlich von Platzangst und Panik allmählich nach und dauern nur selten länger an als ein Jahr. Die Besserung kann durch gute psychologische Führung und durch die Maßnahmen, die im Kapitel unter akuter Angstsymptomatik beschrieben wurden, beschleunigt werden. Es ist eine Tatsache, dass die Betroffenen nach einem erfolgreichen Entzug ein besseres Selbstbewusstsein haben als vor dem Beginn der Einnahme von Benzodiazepinen.

    Depression. Depression kann verursacht oder verstärkt werden durch die chronische Einnahme von Benzodiazepinen, sie ist aber auch eine Komponente des Entzugssyndroms. Depressive Symptome können auch zum ersten Mal nach der Entwöhnung auftreten, manchmal erst nach einigen Wochen, und sie können mehrere Monate anhalten. Dabei ist es nicht sicher, ob diese Komplikation häufiger auftritt bei Patienten, die bereits am Anfang eine Depression hatten oder bei denen Depressionen in der Familienanamnese bekannt sind. Wie in den Kapiteln I and II erörtert, interferieren Benzodiazepine mit der Funktion zahlreicher Neurotransmitter und neuronaler Hormone, so dass eine Depression z.B. das Resultat einer niedrigen Serotonin-Aktivität im Gehirn sein kann, in Verbindung mit dem Stress des Entzuges. Wenn die Symptome so schwer sind, dass eine Behandlung unbedingt notwendig ist, dann reagiert eine Depression auch während des Entzuges auf antidepressive Medikamente und auf kognitive Therapie und klingt in der Regel innerhalb einer Periode von 6-12 Monaten ab.

    Schlafstörungen. Schlafstörungen sind ein häufiges Begleitphänomen von Angstzuständen und Depression. Bei Angstzuständen ist es typischerweise schwierig, einzuschlafen, während Depression sich häufig durch frühzeitiges Erwachen oder häufiges Aufwachen während der Nacht auszeichnen. Schlaflosigkeit ist ein typisches Entzugssymptom in Verbindung mit Alpträumen und anderen Schlafstörungen. Sie können gelegentlich in Verbindung mit „restless legs“ und Muskelzuckungen für Monate als isolierte Symptome persistieren. In aller Regel verschwinden diese Schlafstörungen jedoch mit der Zeit, denn das Schlafbedürfnis ist ein äußerst starker, natürlicher Mechanismus des Körpers, der dafür sorgt, dass das Gehirn nicht unter Schlafmangel leidet.

    Empfindungs- und motorische Störungen. Es besteht kein Zweifel, dass eine Benzodiazepin-Entwöhnung ein Nervenkostüm zurücklässt, das ausgesprochen empfindlich gegenüber allen sensorischen und motorischen Stimuli ist. Üblicherweise bessert sich dies innerhalb von Wochen, gelegentlich jedoch persistieren diese unangenehmen Erscheinungen.

    Eines der am meisten störenden Symptome ist tinnitus, ein konstantes, meist hochfrequentes Geräusch, ein Phänomen, das in mehreren Untersuchungen bei Benzodiazepin-Entzug/Entwöhnung beobachtet wurde. Eine Patientin beschrieb ihren Tinnitus als „eine Geräuschnadel, die tief in ihrem Kopf sticht“. Tinnitus tritt oft auch in Verbindung mit Hörverlust auf oder bei Patienten mit partieller Taubheit, die keine Benzodiazepine genommen haben. Tinnitus tritt oft zum ersten Mal während eines Benzodiazepin-Entzugs auf, insbesondere bei Patienten die eine bereits seit Jahren bestehende und fortschreitende Einschränkung ihres Hörvermögens hatten. Es ist nicht bekannt, ob Patienten, die lange Zeit Benzodiazepine eingenommen haben, besonders zu Tinnitus neigen. Er kann für Jahre anhalten und spricht unter Umständen nicht auf die üblichen Behandlungsmethoden an. Ebenso wenig verschwindet er, wenn wieder Benzodiazepine verabreicht werden. Patienten mit persistierendem Tinnitus sollten sich in die Behandlung eines Gehörspezialisten (Audiologe) begeben oder in ein auf dieses Symptom spezialisiertes Zentrum.

    Verschiedene unangenehme Körpersensationen können nach dem Entzug persistieren, wie z.B. Kribbeln, „pins and needles” oder gefühlstaube Flecken am Körper, im Gesicht, an den Extremitäten und an den Fingern. Diese Empfindungen können in Verbindung mit brennenden Schmerzen auf der Hautoberfläche oder in der Tiefe auftreten. Manche Patienten klagen über ein inneres Zittern oder das Gefühl von Vibrationen sowie auch ungewöhnliche Empfindungen, als würde Wasser oder Schleim über den Körper rinnen oder als würde sich ein Band um den Kopf spannen. Motorische Symptome die möglicherweise persistieren, sind Muskelanspannung, Schwäche, Krämpfe, Zuckungen, Spasmen und Schüttelattacken.

    Mögliche Mechanismen für persistierende sensorische und motorische Symptome. . Obwohl die genannten Symptome oft unter Stressbedingungen zunehmen, handelt es sich dabei nicht einfach um eine Folgeerscheinung von Angstzuständen. Diese Symptome sind ein Zeichen für die Dysfunktion motorischer und sensorischer Nervenbahnen im Rückenmark und/oder im Gehirn. Eine mögliche Erklärung der Mechanismen ergibt sich aus einer Untersuchung mit Flumazenil (Anexate), ein Benzodiazepin-Rezeptorantagonist, publiziert von Lader und Morton (Journal of Psychopharmacology 1992, 6, 357-63). Wenn diese Substanz intravenös infundiert wurde, kam es zu einem raschen Abklingen von protrahierten Symptomen (Muskelspannung, „pins and needles“, Muskelschwäche, Muskelkrämpfe und -zuckungen, Brennen auf der Haut, Tremor oder Schütteln), die für die Dauer von 5-42 Monaten nach dem Entzug aufgetreten waren (11 Patienten). Diese Symptome ließen um 27-82 Prozent nach, und die ausgeprägteste positive Reaktion zeigte sich bei den Patienten mit dem geringsten Ausmaß von Angstzuständen.

    Man nimmt an, dass Flumazenil ein sogenanntes "resetting" der GABA/Benzodiazepin-Rezeptoren bewirkt (siehe Kapitel I). Dadurch wird ihre normale Reaktivität auf die hemmende Funktion von GABA verbessert. Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass einige der protrahierten Symptome das Resultat eines Unvermögens der Rezeptoren sind, sich in ihren ursprünglichen normalen Zustand zurückzuversetzen, das heißt, sie sind weniger reaktiv auf GABA infolge einer Entwicklung der sogenannten „Toleranz“ (siehe Kapitel I). Diese Reaktion auf Flumazenil zeigt auch, dass Benzodiazepine möglicherweise länger dauernde pharmakologische Auswirkungen auf das GABA-System hat, als man ursprünglich glaubte.

    Flumazenil ist jedoch bedauerlicherweise keine zur Behandlung protrahierter Symptome geeignete Substanz. Sie kann nur intravenös verabreicht werden und ist sehr kurz wirksam, so dass die Symptome nur vorübergehend behoben werden können. Außerdem kann diese Substanz nicht denjenigen Personen verabreicht werden, die weiterhin Benzodiazepine einnehmen und sich noch im Zustand der Abhängigkeit befinden, weil es dann zum Auslösen akuter Entzugssymptome kommt. Wie dem auch sei, obwohl protrahierte sensorische und motorische Symptome manchmal nahezu permanent erscheinen, ist damit zu rechnen, dass ihr Ausmaß über die Jahre auch ohne Flumazenil abklingt und dass sie kein Zeichen einer schweren neurologischen Erkrankung sind. Diese Symptome können zumindest partiell günstig beeinflusst werden durch Entspannungstechniken. Manche motorischen und sensorischen Symptome können unter Umständen durch die Einnahme des Anti-Epileptikums Carbamazepin (Tegretal) gebessert werden und motorische Symptome durch Verabreichung von Beta-Blockern.

    Einschränkung von Gedächtnisleistung und Sinneswahrnehmungen. Obwohl es bekannt ist, dass Benzodiazepine die Gedächtnisleistung sowie verschiedene kognitive Funktionen beeinträchtigen, vor allem die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten, klagen einige Patienten, die Benzodiazepine lange Zeit eingenommen haben, über die fortdauernde Abnahme intellektueller Fähigkeiten, die auch nach dem Entzug/der Entwöhnung anhielt. Es gibt mehrere Studien zu der Frage, dass eine Verbesserung dieser Zustände sehr langsam sein kann. Die längste Untersuchung von Langzeitgebrauch in therapeutischen Dosen dauerte nur 10 Monate nach dem Entzug. Kognitive Einschränkungen, obwohl sie sich allmählich verbesserten, persistierten mindestens für die Dauer dieser Zeitspanne und standen nicht in Relation zu Angstzuständen (Tata et al. Psychological Medicine 1994, 24, 203-213). Schwedische Untersuchungen haben gezeigt, dass intellektuelle Einschränkungen, obwohl deutlich verbessert, selbst 4-6 Jahre nach dem Ende der Benzodiazepin-Einnahme noch immer zu beobachten waren. Es war jedoch nicht klar, ob exzessiv hohe Dosen und/oder Alkohol als ursächliche Faktoren für diese Beobachtungen von Bedeutung waren.

    Führen Benzodiazepine zu strukturellen Gehirnschäden? Die erwähnten Untersuchungen haben zu der Frage geführt, ob Benzodiazepine strukturelle Hirnschäden verursachen können. Ebenso wie Alkohol sind Benzodiazepine fettlöslich und werden von den fetthaltigen (Lipid-) Membranen und den Gehirnzellen aufgenommen. Es wird angenommen, dass ihre langdauernde Einnahme über viele Jahre zu physischen Veränderungen, wie z.B. zur Atrophie der Hirnrinde, führt, ebenso wie es bei Alkoholikern beobachtet worden ist. Solche Veränderungen sind nach einem Entzug nur zum Teil reversibel. Verschiedene Untersuchungen mit Computer-Tomographie haben bei Patienten, die Benzodiazepine in therapeutischen Dosen eingenommen haben, jedoch keine Anzeichen einer Gehirnatrophie gezeigt und sogar Ergebnisse nach hochdosiertem Missbrauch von Benzodiazepinen sind nicht eindeutig. Es ist allerdings möglich, dass Benzodiazepine diskrete Veränderungen im Gehirn verursachen, die mit den gegenwärtig verfügbaren Methoden nicht gesehen werden können. Entsprechend unseren gegenwärtigen Kenntnissen gibt es jedoch keinen Grund anzunehmen, dass derartige Veränderungen dauerhaft sind.

    Gastrointestinale symptome. Anhaltende gastrointestinale Symptome können nach dem Entzug/der Entwöhnung auftreten, üblicherweise bei denjenigen, die in ihrer kranken Vorgeschichte bereits Verdauungsprobleme hatten. Die davon Betroffenen entwickeln unter Umständen eine Intoleranz gegenüber bestimmten Speisen, obgleich zuverlässige Tests auf eine wirkliche Nahrungsmittel- oder Medikamentenallergie in aller Regel negativ sind. Nichtsdestoweniger glauben viele darunter Leidende, dass sie eine Einschränkung ihrer Immunabwehr haben und dass es deswegen zu einer intestinalen Pilzbesiedelung (Candidiasis) gekommen ist. Bislang gibt es keine eindeutige Evidenz dafür, dass ein Entzug die Immunabwehr beeinträchtigt, wenngleich Benzodiazepin-Rezeptoren auch im Darm zu finden sind. Es gibt hingegen einige Hinweise, dass chronische Hyperventilation zu einer Freisetzung von Histaminen führt (eine Substanz, die allergische Reaktionen auslöst) und durch die Häufigkeit von Nahrungsmittelintoleranz oder pseudo-allergische Reaktionen in diesen Fällen gehäuft auftreten. Ratschläge im Hinblick auf eine besondere Diät, auf Atemübungen und Candidainfektionen sind unter anderem aus einem Buch von Shirley Trickett (siehe Literaturliste am Ende dieses Kapitels) zu entnehmen. In der Regel wird es nicht empfohlen, eine strikte Diät einzuhalten. Eine normale und ausgewogene Ernährung und angemessene gesunde Lebensweise einschließlich regelmäßiger physischer Aktivitäten (Gymnastik, Jogging) helfen, gastrointestinale Symptome zu bessern, bis sie schließlich nach dem Ende eines erfolgreichen Entzuges allmählich gänzlich abklingen.

    Umgang mit protrahierten Symptomen. Eine Reihe von Benzodiazepin-abhängigen Patienten fürchten, dass die Entzugssymptome für immer anhalten und dass sie sich niemals völlig davon erholen. Besonders sind sie besorgt über das Risiko anhaltender Gedächtnis- und Wahrnehmungsstörungen sowie andere immer wieder auftretende Probleme wie Muskelschmerzen (Myalgien) und gastrointestinale Störungen.

    Derartige Sorgen sind unbegründet. Es existiert ein hoher Grad an Evidenz, dass diese Symptome allmählich nachlassen, obwohl es ein langdauernder Prozess bis zu mehreren Jahren Dauer sein kann. Die Mehrzahl der betroffenen Patienten erleben mit der Zeit eine allmähliche Abnahme der Symptome die dann deutlich weniger belastend als während des eigentlichen Entzuges und schließlich völliges verschwinden. Alle bisherigen Untersuchungen zeigen eine zwar langsame, aber allmähliche Verbesserung kognitiver Fähigkeiten und physischer Symptome. Obgleich die Mehrzahl der Untersuchungen nicht länger als ein Jahr nach dem Ende des Entzuges abdecken, sprechen die Ergebnisse dafür, dass die Verbesserung auch nach diesem Zeitraum anhält. Es gibt absolut keinen Hinweis darauf, dass Benzodiazepine eine permanente Schädigung des Gehirns und des Nervensystems sowie des ganzen Körpers zur Folge haben.

    Patienten, die unter langanhaltenden Symptomen leiden, können sich durch zahlreiche Maßnahmen selbst helfen. So zum Beispiel:

    1. Trainieren Sie Ihren Körper. Physische Aktivität verbessert die Durchblutung und die Funktion sowohl des Gehirns als auch des gesamten Körpers. Finden Sie eine körperliche Aktivität, die Ihnen Freude macht. Beginnen Sie zunächst auf einem niedrigen, ihren jeweiligen körperlichen Fähigkeit entsprechendem Niveau und steigern Sie Ihre Leistung allmählich. Körperliche Aktivität hilft gegen Depression, vermindert Müdigkeit und verbessert die allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit.

    2. Trainieren Sie Ihr Gehirn. Benutzen Sie Ihr Gehirn um Methoden zu praktizieren, die die Effizienz Ihrer Hirnfunktion bessern: Führen Sie Listen, lösen Sie Kreuzworträtsel, finden Sie heraus, was Sie am meisten stört – es gibt stets eine Möglichkeit damit erfolgreich umzugehen. Kognitive Behandlung ist hilfreich, um einen Ausweg aus vorübergehenden psychischen oder physischen Einschränkungen zu finden

    3. Erweitern Sie Ihre Interessen. Suchen Sie nach neuen Interessen, für die Ihre Hirnfunktion benötigt wird. Das verbessert Ihre generelle Motivation, lenkt von unangenehmen Symptomen ab und kann Ihre Akzeptanz bei Ihren Mitmenschen fördern.

    4. Beruhigen Sie Ihre Gefühle. Machen Sie sich vor allem nicht über alles Sorgen. Sorgen, Furcht und Angst verstärken alle Entzugssymptome! Viele dieser Symptome sind eigentlich das Resultat von Angstzuständen und keine Zeichen einer Schädigung des Gehirns oder des Nervensystems. Menschen, die vor dem Entzug Angst haben, entwickeln stärkere Symptome als diejenigen, die es nehmen, wie es kommt und die eine positive Einstellung dazu finden und auf den Erfolg vertrauen.

    HWie lange bleiben Benzodiazepine nach dem Ende des Entzug/der Entwöhnung im Körper? TDiese Frage wird oft von Patienten mit langanhaltenden Symptomen gestellt. Es ist möglich, dass eine der Ursachen für protrahierte Symptome darin besteht, dass sich Benzodiazepine selbst noch nach Monaten im Körper befinden, unter Umständen tief im Gewebe des Gehirns oder von Knochen. Könnte langsame Elimination von diesen Regionen die Entzugssymptomatik unterhalten?

    Wie in vielen anderen die Benzodiazepine betreffenden Aspekten, ist eine Antwort auf diese Frage nach wie vor nicht klar. Benzodiazepin-Konzentrationen werden im Blut gemessen, und es zeigt sich, dass sie spätestens nach 3-4 Wochen auf ein nicht mehr erfassbares Niveau abfallen. Informationen über Benzodiazepin-Konzentrationen im Gehirn oder anderen Geweben ist nur sehr schwierig zu erhalten, ganz besonders natürlich beim Menschen. Benzodiazepine gelangen in das Gehirn und werden im Fettgewebe (Lipid-haltig) gelöst, einschließlich in allen Fettreserven des Körpers. Es ist durchaus denkbar, dass geringe Reste in diesen Geweben für längere Zeit verbleiben, ohne dass ihre Gegenwart im Blut nachweisbar wäre. Die meisten Körpergewebe sind jedoch in einem Zustand des Gleichgewichts mit dem Blut, von dem sie ununterbrochen durchströmt werden, und es gibt keinen bekannten Mechanismus, der Benzodiazepine auf Dauer im Gehirn und anderen Geweben festhält. Es gibt keine Information darüber, wie lange sich Benzodiazepine in Knochen befinden, die einen niedrigeren Fettgehalt haben, jedoch eine wesentlich niedrigere Rate der Zellerneuerung.

    Wie dem auch sei, Konzentrationen der Benzodiazepine, die sich längere Zeit nach dem Ende des Entzugs noch im Körper befinden, müssen sehr niedrig sein, anderenfalls würden die Substanzen in nachweisbaren Quantitäten in das Blut zurückgelangen. Es ist nur schwer vorstellbar, dass derartig niedrige Konzentrationen ausreichen, klinische Effekte im Sinne von persistierenden Entzugssymptomen selbst nach Monaten oder gar Jahren zu verursachen. Es ist aber durchaus denkbar, dass selbst sehr niedrige Konzentrationen in der Lage sein könnten, eine völlige Normalisierung der Funktion der GABA-/Benzodiazepin-Rezeptoren im Gehirn zu verhindern. Wenn dies zuträfe, würde es bedeuten, dass die natürliche beruhigende Wirkung von GABA (siehe Kapitel I) nicht voll wieder hergestellt wäre, und dies könnte bedeuten, dass sich das Nervensystem in einem anhaltenden Zustand der Hyperexzitabilität befindet. Mögliche Faktoren, die zur Entstehung protrahierter Symptome beitragen können, sind in Tabelle 4 aufgelistet.

    EPILOG

    Dieses Kapitel endet mit zahlreichen offenen Fragen. Benzodiazepin-Entzug/Entwöhnung bleibt in vieler Hinsicht ein noch nicht abgeschlossenes Kapitel, und zahlreiche Aspekte erfordern besondere Beachtung:

    1. Wissensstand. Sämtliche Ärzte, wie auch ihre Helfer, benötigen bessere Kenntnisse und Ausbildung im Hinblick auf die Verordnung von Benzodiazepinen (nur kurzfristige Verordnungen!), ihre Nebenwirkungen, ganz besonders dem Risiko der Abhängigkeitsentwicklung und über die Methoden des Entzugs/der Entwöhnung mit einer langsamen Dosis-Reduktion (ausschleichende Therapie) in Kombination mit adäquater psychologischer Unterstützung. Diese Art von Ausbildung sollten auch Hausärzte, Psychiater, andere Spezialisten, Mitarbeiter in Entgiftungszentren, Pharmazeuten, Psychologen und andere Therapeuten erhalten. Eine generell erhöhte Aufmerksamkeit und Druck von der Öffentlichkeit sollten diese Maßnahmen beschleunigen.

    2. Wissenschaftliche Untersuchungen Weitere wissenschaftliche Untersuchungen sind erforderlich, um die Wirkung längerdauernder Benzodiazepin-Einnahme zu erforschen. Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei den Wirkungen auf Gehirnstrukturen mit Hilfe moderner bildgebender Verfahren in Kombination mit neuropsychologischen Untersuchungen gewidmet werden. Weitere Arbeiten sind auch erforderlich auf dem bisher nur wenig erforschten Gebiet der Auswirkung von Benzodiazepinen auf das endokrine, das gastroenterologische und Immunsystem.

    3. Behandlungsmethoden. Bessere Methoden in der Behandlung von Angstzuständen und Schlafstörungen sollten entwickelt werden. Es ist äußerst zweifelhaft, ob jemals eine Substanz Störungen wie Angstzustände oder Schlaflosigkeit wirklich heilt. Es könnte jedoch möglich sein, Medikamente mit weniger Nebenwirkungen zu entwickeln, so z.B. wie bei Ratten, wenn sie mit dem Benzodiazepin-Antagonisten Flumazenil gleichzeitig mit einem Benzodiazepin behandelt werden, keine Toleranz entwickeln, aber offensichtlich ein anxiolytischer Effekt auftritt. Eine derartige Kombination könnte auch am Menschen wirksam sein. Langwirksame Benzodiazepin-Antagonisten, die in Tablettenform eingenommen werden könnten, sind jedoch bisher nicht verfügbar. Alternativ dazu könnten befindlichkeitsstabilisierende Anticonvulsiva, wie z.B. Gabapentin, Tiagabin und Pregabalin hilfreich sein, da sie sich in ihrer Wirkungsweise vom Benzodiazepin unterscheiden. Simultan dazu sollten psychologische Therapieverfahren in der Behandlung von Angstzuständen und Schlafstörungen verbessert und gelehrt werden, und es mag durchaus auch möglich sein, dass bessere Methoden des Entzugs/der Entwöhnung von Benzodiazepinen entwickelt werden, als diejenigen, die in dieser Monographie beschrieben worden sind.

    4. Verfügbarkeit von Behandlungseinrichtungen. Behandlungseinrichtungen spezialisiert auf den Entzug und der Entwöhnung von Benzodiazepin-abhängigen Patienten sollten eingerichtet (verfügbar gemacht) werden. Entgiftungseinheiten, vorwiegend für die Behandlung von Alkoholabhängigen und anderen Suchtpatienten sind nicht geeignet für Patienten, bei denen es in Folge einer medizinischen Verordnung von Benzodiazepinen zur Abhängigkeit gekommen ist. In diesen Einrichtungen werden üblicherweise die Suchtsubstanzen zu rasch und nach einem zu rigiden Schema entzogen, was für benzodiazepin-abhängige Patienten, die von unterschiedlichsten Entzugssymptomen gequält werden, nicht geeignet ist. Es werden vielmehr spezialisierte Behandlungseinheiten benötigt, in denen ausschließlich Benzodiazepin-Entzug oder Entwöhnung in einer individualisierten, flexiblen, verständnisvollen und den Patienten wirklich unterstützenden Art und Weise betrieben wird. Gegenwärtig gibt es nur zu wenige derartige Einheiten, in denen tapfer versucht wird, diese Aufgabe mit minimaler finanzieller Ausstattung zu bewältigen. Eine angemessene Finanzierung würde es auch möglich machen, Patienten intermittierend in besonders kritischen Phasen in einem entsprechenden Umfeld zu behandeln.

    Es ist ohne Zweifel geradezu eine Tragödie, dass im 21. Jahrhundert Millionen von Menschen weltweit unter den Nebenwirkungen von Benzodiazepinen leiden. Im Grunde sollte mehr als 50 Jahre nachdem Benzodiazepine in die medizinische Praxis eingeführt wurden, keine Notwendigkeit mehr für eine derartige Monographie wie diese bestehen. Ich hoffe jedoch, dass die Beschreibung meiner Erfahrungen an vielen Patienten dazu beiträgt, die Aufmerksamkeit innerhalb der medizinischen Profession und in der Öffentlichkeit auf die Probleme zu lenken, die mit einer Langzeit-Verabreichung von Benzodiazepinen und einer entsprechenden Entzugs-/Entwöhnungstherapie zusammenhängen.

    WEITERFÜHRENDE LITERATUR


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